Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Ägypten – Land voller Widersprüche

Gestern saß ich mit meinen Töchtern vor dem Fernsehgerät. Die Tagesschau berichtete über den Anschlag auf koptische Christen in Ägypten. Die Explosion hinterlässt 20 Tote. Blut. Meine Kinder schauen erschrocken und ratlos: Christen sind ja auch in ihrer Klasse, Christen sind auch befreundete Mädchen, Christen sind auch die Oma und der Opa. Im kurzen Bericht fallen alle die Begriffe, um die sich seit vielen Jahren das Leben unserer deutschen Familie dreht: Islam und Muslime. Auch die Töchter verstehen: Das ist ein schlimmes Verbrechen, das haben Muslime getan und sie lernen natürlich, dass der Islam diese Taten keinesfalls rechtfertigt.

Die Hintergründe dieses Verbrechens, dass mit seinen Bildern in das weihnachtliche Deutschland einbricht, sind nicht nur für Kinder schwer einzuordnen. Sicher ist nur, das alte traditionelle Miteinandersein der Religionen scheint unmöglich zu werden. Der neue „Islam“, zumindest in der obskuren Vorstellung einiger radikaler Attentäter, hat nicht nur eine ideologische, sondern auch ein raumgreifende Seite. Der Staat muss nicht nur total islamisch sein, das Ziel ist auch eine islamische Welt ohne „Feinde“. Das ist die gnadenlose Seite des Modernismus. Über Jahrhunderte hat kein Muslim so gedacht.

Das abscheuliche Geschehen findet nicht im leeren Raum statt. Seit Jahrzehnten wird der Islam in Ägypten – so oder so – politisch benutzt. Die einen brechen das islamische Recht mit der Befürwortung von Terrorismus und Selbstmordattentaten, die anderen verkleiden damit das despotische Wirken des Staates. Das politische, teilweise auch ideologisch geprägte Denken der Muslimbruderschaft hat nicht nur auf die unabhängige Lehre des islamischen Rechts eingewirkt, sondern sich unter dem Druck der dortigen Innenpolitik in alle denkbaren Facetten zwischen radikal und liberal aufgespalten. 


Man liest heute in den Zeitungen, dass sogar Mubaraks Nationaldemokratische Partei (NDP) immer islamischer wird. Es ist dabei wohl nicht unwichtig, das Wörtchen „islamischer“ dabei mit Anführungszeichen zu versehen. Diese Hinwendung zum Islam geschieht einerseits aus taktischen Erwägungen, damit die zunehmend religiös geprägten Wahlbürger nicht zu anderen Parteien abwandern. Andererseits gibt es inzwischen auch etliche NDP-Politiker, für die ihr islamischer Glaube nicht nur im Privaten wichtig ist.

Die Lage ist im jedem Fall verzweifelt. Es werden immer mehr Ägypter immer ärmer und die Brotpreise zählen zu den wichtigsten politischen Fragen. Kairo hat bisher kein Konzept gefunden, die Parallelgesellschaften der Super-Reichen und Super-Radikalen wieder auf das Gemeinwohl zu verpflichten. 

Ägypten ist derart seit Jahrzehnten ein Land der Gewalt. Alle denkbaren Formen des Rechts befinden sich in einer Krise. So ist Folter eine tagtägliche, nahezu öffentliche Angelegenheit. Die EU drückt aber lieber die Augen zu, sagte amnesty international (ai) bereits am Internationalen Tag zur Unterstützung des Folteropfers im Jahr 2007. „Wirtschaftlich kooperiert Ägypten gerne mit der EU, aber bei den Menschenrechten lässt die Regierung Mubarak nicht mit sich reden“, sagte Ali Al-Nasani, Nahost-Experte bei ai.

Seit 1967 herrscht fast ununterbrochen Notstandsgesetzgebung im Land. Tausende Ägypter wurden im Namen der Sicherheit eingesperrt und gefoltert. Strafverfolgung findet kaum statt. Mindestens 20.000 Häftlinge befinden sich ohne Anklage in „Administrativhaft“, einige von ihnen seit mehr als zehn Jahren. Sie alle leben täglich in der Gefahr, misshandelt und gefoltert zu werden.

Inzwischen sind tausende Muslime und Christen Opfer des Terrorismus geworden. Jede Aufrechnung dieser Opferzahlen wäre dabei zynisch. Politisch ist die Frage legitim, warum deutsche Politiker nun die Verhältnisse in Ägypten kritisieren, die Radikalisierung und Verrohung der ägyptischen Innenpolitik aber über Jahre unkommentiert ließen.