Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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Die allzu „deutsche“ Terrorismusdebatte

Nach den schockierenden Anschlägen in der Türkei war es eine Frage der Zeit, bis die innenpolitische Debatte um den „Islamismus“ neu entbrennen würde. Der CDU-Politiker Bosbach bemerkte sogleich so schnell wie populistisch, dass eine EU-Mitgliedschaft der Türkei das „Terrorismusproblem“ nach Deutschland importieren würde. Eine Aussage die der deutsche Bundeskanzler mit „charakterlos“ konterte und damit war sie schon da: die innerdeutsche Terrorismusdebatte. Sie wird nun wieder intensiv, parteipolitisch, politisch korrekt – selten aber ehrlich geführt.

Die Frage zwischen EU-Mitgliedschaft und Islamismus könnte die Republik, aber auch die Union spalten. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament, Elmar Brok (CDU), sagte dazu am Montag im Inforadio Berlin-Brandenburg, die Anschläge von Istanbul hätten nichts mit dem Beitrittswunsch der Türkei zu tun. Er selbst sei gegenwärtig gegen eine EU-Mitgliedschaft der Türkei, „weil sie die politischen Kriterien nicht erfüllt“. Aber dies mit dem Terror zu verknüpfen, sei „negativ zu beurteilen“. Der Terrorismus sei ein „grenzüberschreitendes Phänomen“, unabhängig von den Orten der Anschläge. Der Brandenburger Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) kommentierte am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Sabine Christiansen“: „Ich halte diese Diskussion für abwegig.“ Es gehe darum, der Türkei zu helfen. Die Äußerungen Bosbachs führten also auch in der Union zu Kontroversen. Die Debatte über Islamismus und Terror wird in der Union schon länger engagiert geführt. Man sieht in den Muslimen Deutschlands weniger ein zu umwerbendes künftiges Wählerpotential, als eine Frage, an der man sich innenpolitisch zu profilieren versucht. Die Linien zwischen Ausländerfeindlichkeit und Patriotismus sind dabei fließend. Der sächsische CDU-Politiker Nitzsche fasste dabei polemisch zusammen, was man in konservativen Kreisen gelegentlich denkt: Türken wählen ja eh keine CDU. Überhaupt ist die Trennlinie zwischen Terrorismus und Islamismus, zwischen praktizierenden Gläubigen oder arabischen Jugendbanden in der Öffentlichkeit unscharf und fließend. Unter dem unbestimmten Sammelbegriff „Islamisten“ werden auch in der CDU Bin Ladin und Nadeem Elyas oft genug in einer Schublade zusammengefasst. Vereinfachungen und die inflationäre Nutzung des negativen Begriffs „Islamisten“ sind dabei die möglichen Vorstufen einer langfristigen konservativen Ausgrenzungsstrategie. Geflissentlich ignoriert man auch in der CDU das deutlich auftretende Paradox, inwiefern der wild mordende Terror überhaupt islamisch sein kann.

Im Herbst hat die CDU-Bundestagsfraktion – u.a. auch der berühmte Abgeordnete Hohmann – ihren Sorgen um die Ordnung im Lande mit einer parlamentarischen „Anfrage“ Luft gemacht. In 50 Punkten wird scheinbar akribisch nach dem islamistischen Sumpf, nach Hintermännern und Einzelpersonen in Deutschland gefragt. Besonders gut vorbereitet ist die Anfrage nicht. In großen Teilen beruht sie auf der schlichten Lektüre des Bestsellers von Ulfkotte, „Der Krieg in unseren Städten“. Ulfkottes Kernaussagen finden sich bereits im ersten Absatz seines umstrittenen Buches: „Deutschland wird unterwandert. Islamisten tarnen sich als friedliche Muslime und verbergen sich in islamistischen Vereinigungen, die über die gesamte Republik verteilt sind. Eine islamistische Minderheit rüstet zum Angriff gegen den deutschen Rechtsstaat, indem sie heimlich, still und leise eine Infrastruktur zweifelhafter Organisationen schafft, deren Einfluss bis in die entlegendsten Winkel unserer Gesellschaft reicht.“

Die CDU-Anfrage übernimmt das von Ulfkotte in den Raum gestellte trübe Gemisch von Verdächtigungen, Argumenten und vagen Hinweisen. Das Buch des Journalisten hatte in Deutschland leider nur eine kurze Debatte zwischen „Freund und Feind“ ausgelöst und wird auch längst von vielen Parlamentariern kritisch gesehen. Hauptvorwurf: kaum eine der Thesen des Hobby-Geheimdienstlers wird wirklich belegt. So schreibt Armin Pfahl in der Zeitschrift des Bundestages „Das Parlament“: „Man kann insgesamt nur hoffen, dass bei der Darlegung von Informationen aus den nicht genannten Quellen mit mehr Sorgfalt vorgegangen wurde. Ulfkottes Aussage über sich selbst: ‘Der Autor kennt sie alle, die Schwächen und Vorlieben der in Deutschland lebenden Islamisten’, wirkt vor diesem Hintergrund nicht nur etwas selbstgefällig. Hinzu kommt seine undifferenzierte Beschreibung eines islamistischen Netzwerkes, die fast schon verschwörungsideologisch einen homogenen Block unterstellt.“

Das alles stört die CDU weniger, befördert das Buch doch die Verschwörungsthese vom drohenden islamischen Umsturz, der nur von der christlich-abendländischen CDU aufgehalten werden kann. Eine These, die auch das rechte Klientel der Volkspartei beglücken könnte. Die CDU-Fraktion übernimmt aber auch einen weiteren intellektuellen Grundmangel des Buches. Das Buch frägt überhaupt nicht nach dem ebenso brisanten Zusammenhang zwischen „Islamismus“ und deutschen Wirtschaftskreisen. So fällt auf, dass die Anfrage alle möglichen Zusammenhänge aufspüren will, das Verhältnis der deutschen Politik selbst zu islamistischen Staaten wie „Saudi-Arabien“ aber peinlichst vermieden wird. „Welche Bundes- und Landespolitiker profitieren von dem unkritischen Verhältnis der Bundesrepublik zu Saudi-Arabien?“, ist eine der ungestellten Fragen. Dieser Fakt korrespondiert mit der Zurückhaltung der deutschen Innenpolitiker, „wenn es nicht um Sicherheit, sondern ums Geld geht“ und dem Fakt, dass es absolut keine öffentliche Kritik der deutschen Politik am saudischen Staat gibt.

Diese ökonomisch motivierte Blindheit passt ins Bild. Wenn man die Terrorismusdebatte seit dem 11. September Revue passieren lässt, dann fällt auf, dass die islamische Komponente in der Person Bin Ladins aufs Schärfste skizziert wird. Oft genug vergisst man aber, das Bin Ladin natürlich auch eine Schöpfung westlicher Geheimdienste darstellte und seine Begleittruppen der Taliban auch lange Jahre eine ökonomisch-geopolitische Rolle für westliche Ölgesellschaften spielten. Die geistigen Verbindungen zwischen Wirtschaft und Terrorismus, zwischen Kapital und Wahabbismus sind heute evident. Was ist es denn im kapitalistischen System, dass solch gefährliche Verbindungen durchaus möglich machte? Ist das heutige unkritisch-deutsche Verhältnis zur Rolle Saudi-Arabiens nach wie vor durch primär ökonomische Interessen erklärt? Geht es wirklich nur um die Sicherheit der deutschen Bevölkerung? Welche Firmen in Deutschland – teilweise in sicherheitspolitisch brisanten Bereichen – haben denn völlig freie Hand, ihre engsten Kontakte zur – gerade nach westlicher Logik – saudisch-islamistischen Führung auszubauen?

Solche Sicherheitsfragen sind natürlich weniger populär und tangieren die landespolitischen Interessen der große Parteien. Politische Korrektheit in Deutschland im Umgang mit dem „Islamismus“ wird heute vor allem nach Innen praktiziert. Nach Außen gelten die einschränkenden Regeln der politischen Korrektheit gerade nicht. Innen werden sie eher für das einfache Gemüt dargestellt. Der Bevölkerung soll – geht es nach der CDU – suggeriert werden, es gebe bereits praktisch geistige Vorstufen – in Form des organisierten Islam – für einen später drohenden massenhaften Terrorismus.

Die Unkenntnis der Bevölkerung über den Islam wird dabei subtil ausgenützt. So fällt die Erkenntis unter den Tisch, dass der beste Schutz vor Terrorismus korrekt praktizierende und gemeinschaftlich verfasste Muslime sind, die ihren Glauben auf Grundlage der Rechtsschulen und auf Kenntnis des Qur’an und der Sunna stützen. Die öffentlichen und bekannten muslimischen Gruppierungen sind darüber hinaus nicht nur sehr gut überwacht, sondern gerade nicht Sammelort eines gewaltbereiten, zumeist ungebildeten und diffusen Potentials. Die in Deutschland lebenden Muslime sind keine Gefährdung des Weltfriedens. Die Gefahr ist außen. Im Oktober hatte auch der deutsche Bundeskanzler Gelegenheit, der saudischen Regierung die Leviten zu lesen. Schröder – mit dutzenden Geschäftsleuten angereist – verpasste die Gelegenheit, auch einmal außerhalb der Republik politische Korrektheit zu demonstrieren. Der Besuch war weniger von Distanz, als von Intimität gekennzeichnet. Sogar die mitgereisten weiblichen Abgeordneten der Grünen trugen schweigend das „schwarze“ Tuch.

Die Herrscherfamilie des islamischen Königreichs versucht nach dem Selbstmordanschlag vom 9. Novembe,r ihr kompliziertes Verhältnis zur wahabbitischen Geistlichkeit neu zu ordnen. Die radikalen Scheichs und Imame haben das Terrorismusproblem mit dem von ihnen gepredigten Hass auf alle, die aus ihrer Sicht von der „reinen Lehre“ des Islam abweichen, überhaupt erst geschaffen. Inzwischen treten im saudiarabischen Fernsehen täglich fromme Männer mit langen Bärten auf, die der Jugend erklären sollen, dass es im Islam eine Sünde ist, seine Intoleranz gegenüber Andersgläubigen und liberalen Muslimen mit Sprengstoffautos auszuleben. Die Auseinandersetzung zwischen Regierung und Geistlichkeit ist noch völlig offen. Dass der „Dschihad“ auch im 21. Jahrhundert zum Teil noch mit der Waffe in der Hand ausgetragen werden muss, daran zweifelt in Saudi-Arabien kaum jemand. Und es ist sehr schwer, einen Saudi zu finden, der nicht der Meinung ist, dass die wahabitische Schule des Islam, die im Königreich Staatsreligion ist, der einzig „wahre Islam“ sei, den es durch Missionierung zu verbreiten gelte. Diese fragwürdige jüngere Tradition des Wahabbismus im Ölzeitalter stört das ungezügelte Wirtschaftsleben zwischen Berlin und Riyadh allerdings kaum. Für Saudi-Arabien hatte der Besuch später den praktischen Vorteil, dass die Schließung der Fahd-Akademie in Bonn durch einige Telefonanrufe vermieden werden konnte. Politische Kritik löste dieses Geklüngel aber bis heute nicht aus. Der deutsche Besuch wurde sogar in Washington bitter kommentiert: „die Bundesrepublik ist vor allem dann politisch korrekt, wenn es um nichts für sie geht“, heißt es bei den amerikanischen Beobachtern. Bundeskanzler Schröder nutzte seinen Besuch im November in den USA, um vor jüdischen Vertretern seine Entschiedenheit zu bekunden, „gegen den Antisemitismus und israelfeindliche Haltungen“ vorzugehen. In Riyadh war davon natürlich keine Rede.