Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Hochzeit mit der Moderne?

„Die Person, die einen Fuß auf diesen Weg setzt ,ist wie ein Stern. Derjenige der auf dem Weg fortgeschritten ist, ist wie ein Mond. Derjenige, der Wissen von Allah erlangt hat, ist wie eine Sonne. Aber derjenige, der keinen einzigen Fuß auf diesen Weg gesetzt hat, ist wie ein Stein.“ (Imam al-Ghazali)

Ein neues Buch von Katajun Amirpur und Ludwig Ammann (Hrsg.), Der Islam am Wendepunkt wird in der Badischen Zeitung wie folgt präsentiert: „Der Mord am niederländischen Filmemacher Theo van Gogh hat die Frage verschärft: Ist der Islam mit der Moderne überhaupt vereinbar? Auch in der islamischen Welt und unter den Muslimen Europas wird diese Frage heftig diskutiert. Die Bereitschaft zur Kritik der eigenen Tradition geht zwar unterschiedlich weit. Aber nicht wenige Denker kommen zu dem Schluss: Eine grundlegende Reform des Islams ist nötig – und möglich. Themen wie Gewalt, Koranauslegung, Frauenrechte, Demokratie stehen im Zentrum. Dieses Buch zeigt in spannenden Porträts das Gesicht des Islams der Zukunft: Wegweisende Vorschläge zur Rückbesinnung auf den wahren Kern der Religion und Neuauslegung des Glaubens, die hierzulande noch viel zu wenig bekannt sind.“

Aha. Ist diese Wende wirklich spannend? Was in diesen relativ leicht durchschaubaren Büchern präsentiert wird, ist eine von Außen auf den Islam projizierte Dialektik. Tradition wird als Gewalt, mittelalterliche Koranauslegung, Benachteiligung von Frauen präsentiert, während der moderne (gute) Islam „aufgeklärt, refomiert und demokratisch“ sein soll. Ein moderner und reformierter Islam heißt allerdings bei genauerem Hinschauen meistens nicht viel anderes als ein Islam, der dem Grunde nach als Religion unter anderen Religionen nett, aber natürlich auch ziemlich irrelevant sein soll. Der Wendepunkt ist eher ein Endpunkt. Die geforderte „Neuauslegung des Glaubens“ ist dabei letztlich eine charmante Umschreibung für die moderne Forderung nach der „Relativierung des Glaubens durch die öffentliche Verlautbarung von Zweifeln“.

Natürlich gibt es aber einen dritten – übrigens auch noch recht unbekannten – Weg, jenseits der Dialektik zwischen Moderne und Tradition. Also ein Islam, der den Sinn des islamischen Rechtes erkennt, aber eben auch nicht per se in die Fallen des Puritanismus, der Ideologie oder des Fanatismus fällt. Im Zentrum dieser Denker steht die philosophisch gebotene Erfahrung der Einheit, die Fragen der Ökonomie, der Zakat, der Stiftungen und natürlich auch eine unbequeme Analyse über eine Demokratie, die sich heute als autoritärer und alternativloser Kapitalismus von den eigenen Idealen stetig entfernt.

Die konkrete aktuelle Frage, die ja alle denkenden Menschen bewegt und verbindet, ist dabei, wie man in einer apolitischen Zeit den Kapitalismus bändigen kann und ob es überhaupt noch eine Alternative zur kapitalistischen Religion gibt. Wer so denkt, erkennt auch relativ schnell, dass die aktuellen Debatten über „Kopftuch“ und Exzesse muslimischer Kleinfamilien (oder Kleinbürger) im Immigrantenmilieu den Kern des Islam wohl kaum ausreichend beschreiben. Die europäischen Frauen, die heute den Islam zahlreich annehmen, erkennen in dieser Lebenspraxis gottlob mehr Sinn, als die Aufgabe, unterdrücktes Personal in einer Kleinküche zu werden.

Wenig Inspiration für die eigentlichen Fragen erfährt man auch von den sogenannten islamischen Staaten, die, neben der „islamischen“ Börse, ihren technischen Höhepunkt anscheinend darin sehen, „islamische“ Nuklearwaffen zu produzieren. Das aktuelle Beispiel der Hamas zeigt, wie antiquiert das Bemühen der islamischen Bewegung um einen kleinen Staat mit großen Schulden wirkt (neben den Abscheulichkeiten des „totalen“ Kampfes). Die radikalste Form des politischen Islam, der Terrorismus, mit seiner abgründigen Liebe zu allen Formen der Explosion, findet bei europäischen Muslimen sowieso keinen Anklang.

Es geht also darum, ob die europäischen Muslime in der Lage sind, neben der Beantwortung der Frage nach dem Sinn unseres Daseins aus dem Islam heraus ökonomische und soziale Alternativen vorzuleben. Dann ist auch Erfolg gewiss. Der islamische Modernismus – heute je nach Lage in der Pendelbewegung zwischen Extremismus und Esoterik – muss als eine Reduzierung des Islam auf eine politische Struktur im globalen ökonomischen System letztlich scheitern. Im zeitlosen Zentrum unseres Islams steht daher – wie schon im Medina der frühen Zeit – Gemeinschaft, Moschee und Markt. Der Islam lebt dabei auch von den überlieferten basisdemokratischen Elementen (die freie Entscheidung der Dschama’at über ihren Imam, die lokale Entscheidung über die Khutba, die Verteilung der Zakat vor Ort, die Wahl eines Amirs), welche die zentralistisch-nationalistischen Vereine heute konsequent untergraben.