In seinem neuesten Buch über die islamische Szene in Deutschland will sich Dr. Johannes Kandel zwischen „Panikmache und Naivität“ aufhalten. Ein kurzer Blick auf den Buchdeckel belehrt eines Besseren; es geht dem „Dialog“-Verantwortlichen der Friedrich-Ebert-Stiftung noch um viel mehr: Der Autor will nebenbei und von seinem Berliner Schreibtisch aus auch die Frage, „wie wahrscheinlich ist die Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland?“, beantworten.
Natürlich soll das keine Panik machen , sondern den schlicht geratenen Versuch begleiten, eine komplexe, extrem dishomogene Gruppe – nämlich die, der von Kandel markierten „Islamisten“ – in ihrer Allgemeinheit mit schweren Straftaten zu assoziieren. Wer so reißerisch für sein Sachbuch wirbt, muss sich nicht wundern, inzwischen zu den umstrittensten Islamkritikern in Deutschland zu gehören. Die Allwissenheit Kandels zeigt sich in der Überzeugung, die geheime Taktik und Verbundenheit aller islamistischen Gruppierungen gleichzeitig erkannt zu haben. Leider klärt Kandel in dem Buch nicht über seine eigene politisch-theologische Verortung auf und nährt damit einige Zweifel an seiner eigenen Objektivität in Sachen Religion.
Im Grunde eröffnet bereits das 1. Kapitel („Was ist Islamismus“), worum es Kandel idealistisch geht: Er will eine Theorie des Islamismus aufstellen; eine so spektakuläre wie vereinfachte Zuspitzung auf 4 (!) Merkmale, die den „politischen-ideologischen Gehalt der Bewegung“ ausmachen soll. Ganz offensichtlich denkt Kandel dabei an seine idealtypischen Inkarnationen des Islamismus, die Hamas oder Hizbollah, auf die er auch immer wieder im Interesse der Skandalisierung der Fragestellung anspielen muss.
Die Unterscheidung zwischen verbindlichen Glaubensinhalten des Islam und Kandels Beschreibung des islamischen Modernismus (ab Seite 15), der – wie ich in einigen Beiträgen selbst beschrieben habe – in seiner Konträrfaszination zum Westen keine islamisch-rechtlichen Einschränkungen politischer Möglichkeiten mehr anerkennt und allen politischen Modellen der Machtsteigerung (Partei, Terrorismus etc.) blind nacheifert, hat für Dr. Kandel im Grunde keine Bedeutung mehr. Die lästige Unterscheidung zwischen orthodoxen Gläubigen und Verbrechern ist für ihn leider nur noch eine Marginalie.
Kandel kommt auch nur so zum Lieblingsprojekt aller Islamkritiker, nämlich die innere Einheit aller modernen Ideologien (außer dem Kapitalismus natürlich) nachzuweisen. Diese Annahme unterlegt er mit der absurden Feststellung, dass „die Islamisten die Einheit und Einigkeit Allahs betonen“, um so darauf hinzudeuten, dass dieses Postulat der Einheit – dass den Islam seit Bestehen ausmacht – im Grunde die eigentliche Basis der Ideologie des Islamismus sei. Damit erklärt Kandel nicht nur Goethe, sondern auch Ibn al-Arabi oder Rumi zu den ersten Vorläufern des „Islamismus“, da auch sie die Einheitslehre gegenüber der denkfeindlichen christlichen Zweiweltenlehre bevorzugten.
Die Ausführungen von Johannes Kandel gipfeln in der unsinnigen Forderung, dass muslimische Autoritäten den „Islamismus“ (von Kandel als 'Tauhid plus Ideologie' definiert) endlich als „unislamisch“ verwerfen sollen. Unverdächtig macht sich in seiner kämpferischen Theologie dann nur noch der, der die Einheit der Schöpfung zugunsten des Säkularismus – im Sinne einer Zweiweltenlehre – öffentlich und bekennend aufgibt.
Mit Beruhigung lese ich allerdings auch, dass der Islamismus „Politik in das Zentrum seiner Existenz setzt“. Dann – wenn dem so ist – kann ich zumindest leicht den Nachweis führen, dass ich selbst – entgegen der diesbezüglichen Diffamierung Kandels – kein Islamist in seinem Sinne bin. Ich habe zu keinem Zeitpunkt „Politik“ gemacht, Parteien gegründet oder zur politischen Aktivitäten aufgerufen, sondern neben der Begeisterung für das Gespräch und die islamische Zeitung, die Erinnerung an Allah und ökonomische Fragen in den Mittelpunkt meiner bescheidenen Existenz gestellt. (Daneben war ich übrigens auch Steuerzahler, bei der Bundeswehr, Mitglied bei Carl Zeiss Jena und Familienvater).
Warum ich nie ein glühender Parteigänger geworden bin, ist die Konsequenz meiner philosophischen Überzeugungen, insbesondere der Beschäftigung mit der deutschen Philosophie. Aus meiner Sicht und in Angesicht bekannter Phänomene der aktuellen Finanz- und Atomkrise zeigt sich gerade heute die Begrenzung politischer Aktionsmöglichkeiten oder Machtphantasien. Mit anderen Worten, die antiquierten Ideologien, die Kandel noch immer Panik machen, sind aus meiner Überzeugung „politisch“ längst tot.
Die Angst vor dem deutschen Untergang im Scharia-Staat dient für den Hilfsverfassungsschützer auch eher zur Ablenkung. Mit der Logik, „sie sind anti-demokratisch, also bin ich demokratisch“, kann man die wirklich unbequeme Debatte über unsere reale Finanz- und Demokratiekrise vermeiden. Als Jurist sehe ich mich übrigens (siehe meine diesbezüglichen Beiträge zur Finanzkrise) durchaus auch als Verfassungsschützer.
Der heikle Versuch des Autors, ein einziges kleines Buch über unterschiedlichste Mitbürger, Muslime und Verbrecher unter dem Begriff „Islamismus in Deutschland“ zu schreiben, rechtfertigt Dr. Kandel mit dem Argument der angeblichen „Differenzierung“ (z.B. die Einteilung in gewaltbereit oder nicht). Natürlich ist dieses Argument eine Farce.
Ich würde kein (mögliches) Buch schreiben und Dr. Johannes Kandel darin als „evangelischer Sozialdemokrat“ in Nähe zu „evangelikalen Thesen“ bezeichnen, die dann willkürlich in Bezug zur „evangelikalen Kriegsbegeisterung“ gesetzt werden und zur Krönung mit Luthers Antisemitismus garniert sind. Wie unglaublich einfach diese Technik – die ich an anderer Stelle „die Assoziationslogik“ genannt habe – funktioniert, möchte ich Herrn Kandel gerne einmal mit einem Texbaustein aufzeigen:
„Johannes Kandel wird in der Literatur als evangelischer Sozialdemokrat, manchmal auch als 'Evangelikaler' bezeichnet. Manche gewaltbereite Evangelikale sehe auch Krieg als Möglichkeit der Mission an. Viele evangelische Christen sind Lutheraner. Luther gilt mit seiner Zinskritik als Begründer des Antisemitismus in Deutschland“.
Ist das infam? Ja, ist es! Aber genau so funktioniert die innere Logik seines ganzen Buches. Es ist die allgegenwärtige Technik, richtige Aussagen in den falschen Bedeutungszusammenhang zu stellen. Man könnte mit dieser Kritik leben, wären da nicht Sätze wie diese, die Kandel meiner Meinung nach als Dialogpartner leider disqualifizieren:
„Nicht jeder Islamist ist militant und wird Terrorist. Die Gewaltfragen wird von den Islamisten nicht prinzipiell, sondern taktisch beantwortet.“
Den Vorwurf eines taktischen Verhältnis zur Gewalt all derer, die der Autor zuvor herrisch als seine „Islamisten“ definiert, wird nicht etwa konkretisiert und mit Beispielen belegt, sondern Kandel will vielmehr mit diesem allgemeinen „Täuschungsvorwurf“ die Möglichkeit jeden echten Dialogs auf Augenhöhe beenden. Warum sollte man mit Leuten diskutieren, die ja nur so tun, als hätten sie kein taktisches Verhältnis zur Gewalt? Dr. Kandel unterstellt es als möglich, dass man das heimtückische Morden, Töten und die Terrorisierung von Mitmenschen als eine „taktische Option“ insgeheim für gut hält. Ich weise das für mich und die vielen Muslime, die ich persönlich kenne – natürlich auch für die „organisierten“ Muslime – als absolute Unverschämtheit zurück!
Hierzu passt auch, dass er der Islamischen Zeitung dreist unterstellt, sie lehne Selbstmordattentate nur deswegen ab, „weil sie die islamische Missionsarbeit behindere“. Ich finde, wer bewusst so menschenverachtend schreibt oder unterstellt, will keinen Dialog mehr. Nur, was will er dann? Wer Andersdenkenden im Grunde ihre „Menschlichkeit“ abspricht, legt selbst den Nährboden für die nächste Steigerung – für Gewalt und ein militantes „Freund-Feind“ Denken.
Es wundert nicht weiter, dass in der Ideologie von Dr. Johannes Kandel die „Islamische Zeitung“ ein wenig Kopfzerbrechen bereitet. Ich habe nicht vor, die Zeitung hier lang zu verteidigen, da ja 189 Ausgaben und alle Leserreaktionen für sich sprechen. Also Schwamm drüber, dass Kandel die Islamische Zeitung – die ja tausende Leser zumindest immer wieder positiv anregt – in einem denkwürdigen Kapitel zunächst pauschal als „Ideologieproduzent“ beleidigt. Lassen wir offen, warum wir eigentlich (noch) ein mühsames Dialog-Projekt unterhalten, dass uns viel Geld, Zeit und Nerven kostet, wo es uns doch nach Kandel nur um die flotte Verbreitung einer „Ideologie“ geht. (Hätte man das tatsächlich vor, müsste man sich längst in einen Chatroom unter falschen Namen verabschieden.)
Klar: Kandel provoziert, dass die „Islamische Zeitung“ seit nunmehr über ein Jahrzehnt mehr offener Dialog zustande bringt, als ihm selbst lieb und – in seiner Isolation – wohl auch möglich ist.
Inhaltlich kann er die Zeitung nur schwer mit seiner Islamistenlogik in Einklang bringen, wendet sie sich doch augenscheinlich und inhaltlich gegen den Terrorismus, Selbstmordattentate und den Modernismus als politische Ideologie. Es gehört zum Kalkül Kandels, die Redaktion der „Islamischen Zeitung“ so auf meine Person zu reduzieren und alle RedakteuerInnen in eine Art Sippenhaftung zu nehmen. Das „Netzwerk“ Kandel schreibt nicht nur viele, aufklärende Briefe (..oh arme Pressefreiheit….) sondern ist ja bis heute stolz, dass so auch die Verbannung der einzigen islamischen Zeitung in Deutschland aus der Mediengruppe der Islamkonferenz gelungen ist.
Nach seiner absurden Verschwörungstheorie – so lese ich staunend – sei die Zeitung das ferngesteuerte Instrument einer islamistisch-globalen Verschwörung. Wow, drunter geht es nicht. Zudem habe ich nach den Phantasien Kandels zu schließen, mich schwer verdächtig gemacht, da ich – ohne ihn zu fragen – tausende Muslime und Nicht-Muslime in die „Islamistenhochburg“ Weimar eingeladen habe, um dort – natürlich langfristig, aber wie Ich sehe immer unter seiner Beobachtung – einen „Gottesstaat“ zu errichten.
Ansonsten bleibt der „Gedankenleser“ auch in diesem Abschnitt seiner intellektuellen Unredlichkeit treu und erfindet noch schlicht, dass ich angeblich „Verehrer“ von Carl Schmitt sei, der ja – wieder die klassische Assoziationslogik – antisemitische Züge habe. Einfacher geht es wirklich nicht mehr…..
Was mir beim Lesen des schwarzen Buches übrigens auch aufgefallen ist, dass Johannes Kandel eigentlich nie von Begegnungen berichtet. Auch wir sind ihm nie persönlich begegnet. Ach so … ja … Feindbeobachtung aus der Ferne schließt jeden echten Dialog ja aus.
Johannes Kandel; Islamismus in Deutschland, Zwischen Panikmache und Naivität, Herder Verlag