„Leben heißt – dunkler Gewalten Spuk bekämpfen in sich. Dichten – Gerichtstag halten über sein eigenes Ich.“ (Henrik Ibsen)
Es war eine Tragödie im Lande Ibsens. Dutzende junge Männer und Frauen, kaltblütig ermordet von einem schizophrenen Täter. Nur noch unwürdig wirkte nun das Spektakel um die Zurechnungsfähigkeit eines Mannes, der alleine gehandelt haben mag, aber doch als Teil eines unsichtbaren Netzwerkes begriffen werden muss.
In ganz Europa sind Einstellungen sichtbar, die zwar nicht offen Gewalt propagieren, sie aber durch rassistische und feindliche Äußerungen gegen Muslime mit vorbereiten. Die Linie zwischen Kritik, Feindbild und Wahnsinn sind oft genug fließend. Wann fängt eine rassistische Haltung – die islamophob ist – an, eine Krankheit zu sein? Dies ist eine Debatte, die man Fachjournalen überlassen kann. Fakt ist, der norwegische Mörder lebte, wie seine Aufzeichnungen zeigen, nicht nur in seinen Phantasien, sondern im Austausch mit einer geistigen, teilweise offen publizierenden Welt. Er ging nur – wie die Terroristen der NSU – den einen Schritt weiter.
Ähnlich wie der Begriff Al Qaida nur einem wirrem Sammelsurium unterschiedlicher negativer Motivationen einen Namen gibt, so sind auch islamophobe Strukturen natürlich lose. Sie sind aber auch nicht völlig zusammenhangslos. Es gibt wie bei jeder Ideologie Brandstifter, Mitläufer, Täter und eine schweigende Masse.
Europa muss aufpassen, dass die große Leere, die Breivik nach seinem Medienauftritt in seiner Zelle sicher erwartet, nicht ansteckend wirkt; auf andere Täter oder aber auf Europa selbst, dass dem aufkeimenden alten Rassismus nicht genug entgegenzusetzen vermag. Die große Leere, die die Tat in Norwegen auslöste, ist ja nur eine Umschreibung. Sie ist der Nihilismus selbst: Eine Welt ohne Gott, in der alles erlaubt ist, wenn die Polizei einmal nicht kommt.
Es gibt die Psychose der Täter, es gibt aber auch neue Psychosen der Massen, die auf der Schau nach Sündenböcken und angeblichen Gegnern sind, die von eigenem Versagen ablenken. Es muss bedenklich stimmen, dass die Wirtschaftskrise, die uns zweifellos bevorsteht, jederzeit in eine große geistige Krise umschlagen kann. Das Klima dafür ist vorhanden. Die Medien projizieren doch schon unentwegt, dass ein Europa, dass nicht seine Banken rettet, untergehen muss. Wer seine Schulden nicht bezahlt, so wird uns eingetrichtert, erntet Chaos, Mord und Bürgerkrieg – ist das schon eine neue Psychose?