Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

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In der Kulturkirche

„Ich muss ihnen aber auch von einer Szene in Jordanien erzählen, wo einer das Gespräch unterbricht, geht nach nebenan, breitet sein Gebetsteppich aus und betet, kommt zurück und sagt: ‘Ich sagte vorhin, es war der 20. Juni 2000, ich muss mich korrigieren, es war der 21.’ Wir wüssten nicht einmal, ob es Juni oder Juli gewesen ist. Die Verpflichtung auf die Wahrheit, und das aus dem Gebet zu entwickeln, empfinde ich als beeindruckend.“ (Roger Willemsen)

Schummriges Licht. Kerzen. „Hier spricht Guantanamo“, wird auf die alten Kirchenmauern der Kulturkirche in Köln projeziert. Auf den blauen Eintrittskarten wird normalerweise „Holiday on Ice“ oder „Vfl Gummersbach“ stehen, heute steht „Guantanamo“ drauf. Warten auf Roger Willemsen. Das Publikum ist eine bunte sympathische Schar, die sich auch am späteren Abend für ein ernstes Thema zwei Stunden Zeit nimmt. Muslime sind zu meiner Überraschung (besser Erschütterung) außer uns keine da. Schade eigentlich, denn gerade dieses Engagement von Willemsen würde auch von muslimischer Seite Respekt und Anerkennung verdienen.

Willemsen hat auf der litcologne in Köln volles Programm. Er verleiht Karl May Preise oder brilliert als Conferencier auf einer Literatur-Gala. Heute bietet Willemsen einen Abend an, zu dem er keine „gute Unterhaltung“ wünschen kann. Willemsen tut dies auch nicht, eher nüchtern wie ein Kellner präsentiert er die Rechnung amerikanischer Freiheitsexportpolitik: Guantanamo. Der berühmte Sprachwitz lässt sich bei aller gebotenen Nüchternheit nicht verstecken. Die Häftlinge seien unschuldig, stellt er fest. Aber, natürlich gäbe es auch wieder neunmalkluge Kommentare, so die Thüringer Allgemeine, die „Bushiger als Bush“ immer noch die Unschuld dieser entlassenen Häftlinge in Frage stellten.

Der Abend lebt von Willemsens Glaubwürdigkeit und Absichtslosigkeit. Er habe nur einfache Fragen gestellt. Jeder von uns hätte sie stellen können, so Willemsen. Nur, er hat es einfach getan. Warum? Im Nebensatz erwähnt er das Engagement von Beckett, der neben dem Warten auf Godot, viel Zeit und Feuer für Amnesty International verwandt habe. So wird die Bühne und das Schauspiel wieder einmal politisch, während unsere Politik im Lande immer mehr zum Schauspiel wird. „Statt immer wieder neue Hitler-Poesiealben zu verfilmen, sollten wir wirklich etwas tun, um Guantanamo zu stoppen“, meint Willemsen. Ja, das sitzt. Solche Leidenschaft wünscht man sich bei einem Innenpolitiker.

Die Befragten, ein russischer Gemüsehändler und ein ehemaliger Botschafter der Taliban in Islamabad, so Willemsen, hätten Charisma gehabt, wirkten versammelt, intensiv, hätten sich jedem Gezeter und Rachegeschrei enthalten, wären erschüttert gewesen, dass ihre banale Forderung nach einem Prozess nicht erhört worden wäre. Das nackte Leben, wie Giorgio Agamben das formuliert, hätten sie bekommen – sonst nichts. Die am Abend vorgetragenen Interviews sind unspektakulär und doch erschütternd. Die amerikanische Fragetechnik scheint sich an Kafkas Prozeß zu orientieren. Monatelang die gleichen Fragen, monatelang die gleichen Antworten, von inkompetenten Übersetzern schlecht und willkürlich weitergegeben. Die Antworten der Muslime im Lager scheinen so oder so nicht relevant.

Guantanamo ist von innen gesehen ein rechtloser und sinnloser Ort. Von Außen betrachtet ist er einer der Fixpunkte der Achse des Bösen, die sich weltweit beliebig mit anderen Punkten verbinden lässt. Es gibt nichts wirklich „Neues“ in den Interviews. Das Lagerleben ist so trostlos, wie nihilistische Theaterstücke eben sind. „Aufruhr gibt es“, so Willemsen beinahe staunend, „als der Koran geschändet wird und 28 Häftlinge versuchen, sich daraufhin das Leben zu nehmen“. Es bleibt trotzdem eine nachhaltige Wirkung dieser Interviews, an deren Schilderungen an einigen Stellen die vielbesungenen Werte wie kleine Luftblasen zerschellen. „Warum glauben sie, dass sie trotz aller Demütigungen nicht zerbrochen sind?,“ frägt Willemsen den geschundenen Bürokraten der Taliban am Schluss. „Ich weiß es nicht“, sagt dieser. „Wir hatten nichts mehr, außer dem Koran“. Dieses Schlusswort fällt tief in den Abend hinein.