Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Lehren aus Köln

Der CSU kommt eine Woche vor der Landtagswahl der Effekt zugute, dass es so viele Skandale gibt, dass keiner davon richtig ins Rampenlicht rückt. Weder die Abermillionen, die Erwin Hubers Landesbank durch zwielichtige Engagements über die amerikanische Pleitebank Lehman Brothers den bayerischen Steuerzahler kostet, noch die wahrscheinlich weit höhere Summe, um welche die von Michael Glos beaufsichtigte KfW den Bundeshaushalt schädigt. Beide Politiker halten sich auffällig in der Defensive. Von Talkshowauftrittskollegen des Letztgenannten erfährt man unter der Hand sogar, dass er regelrecht Angst davor habe, im Fernsehen etwas sagen zu müssen – angeblich, weil dann ans Licht kommen könnte, wie wenig er die Vorgänge versteht, die zur Finanzkrise führten. (Peter Mühlbauer, TP)

„Nicht die Moschee, der Islam ist das Problem“ ließ ein prominenter Islamgegner jüngst verlauten. Ein weltfremder, beinahe romantischer Standpunkt. Denn gerade jetzt wird der Welt ja klar, wo das eigentliche beängstigende Problem unserer Tage liegt. Das ökonomische Erdbeben an der Wall Street lässt ahnen, dass wir längst nicht mehr in einem politischen Zeitalter leben. Man sollte bei der Extremismusdebatte nicht verschweigen, dass seit dem zweiten Weltkrieg unser Wirtschaftssystem nicht nur banale Gewinne, sondern auch Millionen Leben gekostet hat. Auch das ist extrem.

Politischer Extremismus jeglicher Couleur und dessen faschistoide Auswüchse beschäftigen zu Recht Staatsanwälte und Richter – die Krisen und Risiken der bebenden Finanzmärkte beschäftigen uns alle. Spektakulärer Extremismus lenkt von der ökonomischen Fragestellung ab. Es gehört zu den Sinnkrisen moderner Politik, dass „rationale und vernünftige“ Politik sich in einem eingeschränkten nationalen Raum bewegt, während sich der grenzenlose ökonomische Raum der politischen Kontrolle entzieht. Die Angst der Politik vor dem finalen Crash, die Angst der Politik vor der eigenen Bevölkerung ist nun das letzte psychologische Druckmittel der um ihre Zukunft ringenden globalen Banken.

Während Muslime sich generell für den Islamismus alltäglich entschuldigen, verantworten und rechtfertigen müssen, hat unsere bürgerliche Gesellschaft einen wirkungsvollen Mechanismus der Nicht-Verantwortlichkeit etabliert. Die ökonomische Realität, die wir als Konsumenten, Gläubiger und Schuldner prägen und die sich Kapitalismus nennt, entzieht sich in aller Stille der politischen oder gar persönlichen Verantwortung. Es wirkt, als hätten wir nichts damit zu tun, es wirkt, als würden wir jeden Tag von Geisterhand gezwungen, in die sakrale Finanzwelt einzutreten. Haben wir nicht bemerkt, dass, architektonisch gesehen, die eigentlichen sakralen Bauten dieser Zeit nicht Moscheen oder Kirchen, sondern Banken sind?

Nach der üblichen Theorie kann keine Bank Terror ausüben, noch der skrupelloseste Manager in der Rüstungsbranche ein Terrorist sein. Verantwortung bleibt traditionell allein politisch definiert und zudem auf einen fiktiven Soll-Zustand bezogen. Das Ergebnis: Der Krieg gegen den Terror mag noch so grausam sein, er bleibt aber als schmerzhafter Werte-Export gerechtfertigt, da er ja zu einem idealen Zustand der Weltdemokratie führen soll. Dass diese Mission nebenbei immer auch ein Geschäft ist, der Werteaustausch besonders intensiv in ökonomisch bedeutsame Regionen geführt wird, lässt uns an der angeblich friedlichen Natur unserer Ordnung nicht zweifeln.

Ist der Islam wirklich das Problem dieser Zeit? Ich sage nein. Das heißt nicht, dass wir Muslime nicht Probleme haben und hatten, Ideologen, Nationalisten oder Terroristen aus unseren Reihen zu entfernen. Das größte Problem ist dabei übrigens, weiterhin eine islamische Lehre zu schützen, die sich zu Gunsten eines rein politisch verfassten Islam nicht politisch instrumentalisieren oder korrumpieren lässt. Das kategorische Verbot von Selbstmordattentaten oder die Bekämpfung des Rassismus, den jeder Nationalismus in sich trägt, ist dabei genauso elementar wie das Verbot der Zinsnahme. Auch für den Islam gilt der Grundsatz, dass wenn das Recht die Politik beherrscht, jeder Ideologie ein effektiver Riegel vorgeschoben ist.

Im Islam gibt es Ehrfurcht vor dem Schöpfer, aber keine Angst vor ökonomischen Krisen. Wir Muslime können schlicht nicht überrascht sein, dass ein System, das auf Zinswirtschaft beruht, in eine epochale Krise führt. Wir haben andererseits ein vernünftiges Modell, das Eigentum und Wirtschaften ermöglicht, aber eben der wundersamen, irrationalen Geldvermehrung ein Ende setzt. Wir glauben einfach nicht, dass man in einer gerechten Wirtschaft Papiergeld endlos duplizieren kann. Hier liegt offensichtlich die eigentliche, größte Glaubensfrage dieser Zeit. Extremisten und radikale Islamgegner haben noch nicht einmal die Frage verstanden.