Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Mallorca

Winteraufenthalt in Mallorca. Normalerweise eine Destination, die für Touristen, Aussteiger, „Sonnenanbeter“ und – wie man in Deutschland weiß – für eine bestimmte saisonbedingte Trunkenheit berühmt ist. Natürlich geht es im Dezember hier eher beschaulich zu. Nur einige Touristen sonnen sich in den Cafés am Strand. Mallorca wird in jeder Jahreszeit auch wegen der Schönheit der Insel und den wunderbaren Farbenspielen am Meer besucht.

Die islamischen Wurzeln der Insel sind bis heute spürbar. Das Ziel meines Besuches ist eine besondere Feierstunde. Der Sohn eines guten Freundes hat den Qur’an vollständig auswendig gelernt. Beinahe fünf Jahre hat er sich mit seinem Lehrer dem Qur’an gewidmet, mit dem festen Ziel vor den Augen, Hafidh zu werden. Diesen besonderen Zustand erreichen heute nur wenige Schüler, da das vollständige Auswendiglernen des Qur’ans am Ende eine Gnade und nicht nur ein gewaltiges menschliches Projekt ist. Ich bin beeindruckt von dem jungen Mann, der nicht nur ausgesprochen schön rezitiert, sondern dabei auch von sichtbarer Freude erfüllt ist.

Das Wunder des Qur’an ist seine Lebendigkeit, die sich der vollständigen Erschließung durch die systematische Wissenschaft entzieht. Ein älterer Lehrer erzählt am Abend die folgende Geschichte: Er habe in jungen Jahren in Marokko einen Schaikh getroffen, der ihn gefragt habe: „Kennst du, verstehst du den Qur’an?“. Er habe geantwortet „Ja, ich lese und bemühe mich zu übersetzen“. Der Schaikh sagte darauf, dass er dies nicht gemeint habe, er habe vielmehr gefragt, ob er den Qur’an verstehe. Den Qur’an verstehen, sei etwas anderes: „Wenn Du den Qur’an verstehst, und sei es nur ein Buchstabe, dann kannst du 40 Tage weder essen noch schlafen“. Ihm, so der Schaikh, sei dies passiert.

Ich muss während der Feier kurz an eine Szene in einer arabischen Metropole denken, wo die lokale Regierung einen aufgeschlagenen Qur’an in Beton gießen ließ und am Stadtrand vor ein glamouröses Museum stellte. Der junge spanische Mann, der hier vor mir sitzt, ist das lebendige Gegenteil und Teil einer zeitlosen zwischenmenschlichen Überlieferung, die in Europa angekommen ist. Mir scheint, dies ist die wahre Zukunft einer tiefen und fröhlichen Wissenschaft. Er ist auf dem Teppich geblieben. Sein Islam ist in das Herz, nicht in Beton gegossen.