Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Nachfragemacht

„O die ihr glaubt, zehrt nicht euren Besitz untereinander auf nichtige Weise auf, es sei denn, daß es sich um einen Handel in gegenseitigem Einvernehmen handelt. Und tötet euch nicht selbst (gegenseitig). Allah ist gewiß Barmherzig gegen euch.“ (4:29)

Es ist in dieser Zeit spannend zu beobachten, dass die islamischen Grundsätze in der Ökonomie immer mehr öffentliche Beachtung finden. Leider gibt es nicht sehr viele muslimische Gelehrte in Deutschland, die über diese relevanten Bedeutungszusammenhänge sprechen könnten. Die islamische Sicht auf Geld, Verträge, Zins – bis hin zur freien Marktwirtschaft – entfalten aber gerade jetzt Sinn und regen den Intellekt an.

Zu den elementaren Überzeugungen islamischen Wirtschaftens gehört der Grundsatz, einvernehmlichen, fairen Handel zu betreiben. Hierzu bedarf es einen Marktplatz, der überhaupt fairen Wettbewerb ermöglicht. Im Islam gilt der Grundsatz, dass die Regeln des freien Wettbewerbs in diesem Raum nicht durch Monopolisten aufgehoben werden dürfen. Genauso wie in der Moschee darf niemand einen bestimmten, priviligierten Platz nur für sich selbst und auf Dauer beanspruchen.

Heute erleben wir die Umkehrung. Der Handel und der (so genannte) „freie Markt“ werden durch Monopole und ihre monopolisierte Distribution beherrscht. Ihre Nachfragemacht geht inzwischen soweit, dass die Regeln und die Preise beinahe beliebig bestimmt werden. 1999 gab es noch acht große Supermarktketten in Deutschland, die gemeinsam über einen Marktanteil von 70 Prozent verfügten.

Heute entfallen auf die sechs größten Supermarktketten – Edeka, Rewe, Aldi, Lidl [einschließlich Kaufland], Metro und Tengelmann – 90 Prozent der Marktanteile. Immerhin: Heute setzt sich der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in einer öffentlichen Anhörung erstmals mit der Nachfragemacht des Lebensmitteleinzelhandels auseinander. Es regt sich also Widerstand.

Die Oxfams Handelsexpertin, Marita Wiggerthale, ist beispielsweise als Sachverständige geladen. Wiggerthale ist Mitbegründerin der „Supermarktinitiative“, die sich für faire Einkaufspraktiken im Lebensmitteleinzelhandel einsetzt. Die Supermarktinitiative fordert eine umfassende Untersuchung des Missbrauchs der Nachfragemacht im Lebensmitteleinzelhandel, mehr Transparenz für Verbraucher und verbindliche Regeln zur Einhaltung von sozialen und ökologischen Mindeststandards in der gesamten Lieferkette.

„Die Supermarktketten sitzen beim Einkauf am längeren Hebel“, sagt Wiggerthale. „Ihre unfairen Einkaufspraktiken erhöhen den Druck auf die Löhne und verschlechtern die Arbeitsbedingungen auf den Plantagen in Entwicklungsländern“, so Wiggerthale. Der Bundestag müsse sich in einem ersten Schritt für eine umfassende Untersuchung der Einkaufspraktiken einsetzen. Diese könne dann als Grundlage zur Überprüfung des Wettbewerbsrechts dienen.

Die Folgen des Nicht-Wettbewerbs führen die Idee einer „sozialen Marktwirtschaft“ ad absurdum. Auf dem islamischen Markt sollen möglichst viele Anbieter zum Zug kommen. Die moderne Ernährungswirtschaft der „europäischen Ketten“ wird von wenigen Anbietern kontrolliert. Jeder spürt inzwischen die Folgen: „Es vergeht in der Ernährungswirtschaft kaum eine Tarifverhandlung oder eine Verhandlung im Betriebsrat, in der Unternehmensvertreter nicht Forderungen nach niedrigeren Löhnen und geringeren Sozialleistungen mit dem Preisdruck des Handels begründen“, erklärt Franz-Josef Möllenberg von der Gewerkschaft Nahrungsmittel, Genuss und Gaststätten, der ebenfalls als Sachverständiger geladen ist.

Für Muslime besteht in dieser Zeit – durch das Betreiben „islamischer Märkte“ – die Möglichkeit ein inhaltliches Signal zu setzen. In den Städten können solche Märkte – wie die Erfahrung zeigt – nicht nur Brücken bauen, sondern auch wichtige Impulse für ein multikulturelles, soziales Miteinander setzen.