Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

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Neue Trends

„Daß Wallenstein langfristige Absichten pflegte, unterscheidet ihn von den meisten Politikern, welche heute dies schwatzen und morgen das, um den Widerspruch zwischen dem einen und dem anderen sich gar nicht kümmern und nichts im Kopf haben als Taktik und Augenblick.” (Golo Mann)

„Die Afghanen müssen sehen, dass sie selbst ihre eigene Regierungsform finden. Das ist doch nicht unsere Angelegenheit. Im Übrigen: In Dörfern und in den Stämmen gibt es auch eine Form von Demokratie. Dort gibt es eine Dorfversammlung, dort haben die Ältesten oder der stärkste Mann das Sagen, und da wird dann auch irgendwie bestimmt. Die Menschen dort haben einfach eine andere Form des Zusammenlebens.“ (Peter Scholl-Latour auf n-tv.de)

Ein neuer Trend zeigt sich bei den Kommunalwahlen in NRW: Muslime bilden eigene Bürgerlisten und treten mit guten Chancen bei den Kommunalwahlen an. Die etablierten Parteien haben diesen logischen Trend völlig verschlafen (die IZ hat darüber berichtet) und sträflich verpasst, muslimische KandidatenInnen in ihre Reihen aufzunehmen.

Die Bevölkerungsentwicklung in den Großstädten lässt ahnen, welches Potenzial diese muslimischen Listen auf Dauer haben könnten. Die kommunalen Parlamente entscheiden im Kulturbereich, in der Stadtentwicklung oder im Marktrecht über einige lokale Kernanliegen der Muslime. Liest man die entsprechenden „Wahlprogramme“ der neuen Listen, sieht man allerdings, dass auch Muslime schnell den personenbezogenen Wahlkampf gelernt haben. Man liest dort wenig konkretes über Inhalte, dafür aber zahlreiche Phrasen, Binsenweisheiten und Gemeinplätze („Für Frieden“).

Immerhin, wenigstens die Kommunalwahlen sind so ein bißchen spannend. Das Spektakel „Bundestagswahlkampf“ ist dagegen erschreckend „entpolitisiert“. Bezeichnenderweise ist ein Higlight des Wahlkampfes der ZDF-Film „Schlämmer tritt an“. Ein typisch deutscher Angriff auf die Lachmuskeln, der nicht ohne fortlaufende amtliche Hinweise auskommt, dieser Wahlkampf sei natürlich nicht „ernst gemeint“ und eine Fiktion. Die Politsatire wird vom ZDF so mit einiger Mühe extrem witzig gehalten, wohl auch, damit die Abgrenzung zur realen Politik auch dem einfachen Wähler gelingen mag. Will man einer Forsa-Umfrage von dieser Woche glauben, so hätte die Schlämmer-Partei dennoch ein reales Wählerpotential von 18 Prozent.

Ansonsten herrscht längst die allgemeine Akzeptanz, dass man im Wahlkampf, falls denn einmal Inhalte berührt werden, „tarnen, tricksen, täuschen“ darf. Die Parteien präsentieren ansonsten, mit Hilfe ihrer Werbeagenturen, gewohnt professionell ihre Herz-, Gefühl- und Emotionenseite.

Genau dieses Herz, Gefühl und Emotionen vermisst man dagegen beim potenziellen Wahlkampfthema „Afghanistan“. Das Desaster am Hindukusch – so nennt es der ehemalige CDU-Verteidigungsminister Volker Rühe – wird von der Bevölkerung zwar grundsätzlich abgelehnt, sonst aber so unbeteiligt beobachtet, als handle es sich um eine Politsendung im dritten Programm. Bei diesem Thema, rund um das Märtyrium der Demokratie, die Profite der Rüstungswirtschaft, die Exzesse der Sicherheitsindustrie und des Schutzes des Drogenanbau erlauben uns die Wahlen, beziehungsweise die Parteien, leider keine echte Wahl.

Selbstredend sind auch kritische oder betroffene Afghanen in den langatmigen Politshows nie gesehene Gäste. In Kabul gibt es auch in diesen Tagen eine Art Wahl. Dabei haben die Afghanen schon längst gewählt. Sie sehnen sich mit absoluter Mehrheit schlicht nach dem Abzug der Besatzungstruppen und ihrer Befreiungsindustrie.