Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

„Occupy“

Ich habe neulich einem Vertreter der „Occupy“-Bewegung zugehört. Der junge Mann war mir nicht unsympathisch und überraschte das Forum mit einer ungewöhnlichen Aussage: „Wir haben keine Lösungen, nur Fragen“. Das obligatorische Gelächter griff ihn nicht weiter an, aus dem einfachen Grund, da er auch aus eigener Sicht nicht zur Wahl stand.

Tatsächlich wird der Bewegung immer wieder vorgeworfen, sie sei „weltfremd“ und nicht professionell genug. Man sollte aber den Ansatz dieser jungen Leute nicht unterschätzen, denn „Occupy“ will nicht nur ehrlich, sondern auch keine „parteiähnliche“ Struktur sein. Als warnendes Beispiel wird in diesen Kreisen „Attac“ genannt, deren Ansätze anarchisch schienen, die einige junge Energie verbrauchte, aber bald auch eine Führung hervorbrachte, die sich es in Bundesvorständen von Parteien gemütlich machte.

Im „Wissen dass wir es nicht wissen“ liegt auch ein philosophischer Ansatz. „Occupy“ will gar nicht den Eindruck erwecken, dass man den riesigen Problemen mit riesigen Lösungen Herr werden könnte. Es geht genauso wenig um das einfache „weiter so“ und das hilflose Schüren von Ängsten, sei es mit der einfachen These, dass alle Alternativen ins Chaos führen und wir großen Europäer kleiner als die Chinesen zu werden drohen. Es gibt keine ideologische Lösung, sondern nur die Gelassenheit zu verstehen, dass das planetarische Projekt der Technik, mitsamt seiner Unterfunktion der Finanztechnik, kein menschlicher Wille, sei er noch so ambitioniert, einfach eine neue Richtung geben kann.

„Occupy“ geht es um etwas Anderes, um eine neue Lebenspraxis, die frei genug ist, Sand ins Getriebe zu streuen und Zeit genug hat, über neue Lösungsansätze nachzudenken. Da alle arbeiten „müssen“ und die meisten noch arbeiten „können“, ist „Occupy“, im Moment, noch eine kleine Bewegung. So bleibt noch ein wenig Zeit, die richtigen Fragen zu stellen, auch wenn „Occupy“ bisher weder die richtige Symbolik, noch die richtigen Bilder gefunden hat. Es geht nicht um Zelt und Schlafsack, sondern um Geld und Markt.

Die Bewegung sollte aufstehen und nicht nur Zweifel, sondern auch alternatives Geld auf alternativen Märkten streuen. Ein alternatives Modell ergibt sich nicht allein aus der Reaktion auf ein System, sondern wird mit neuen Marktplätzen, mit neuen Regeln und mit neuem Geld um das notwendige Publikum werben müssen.

Nach wie vor wird auch der Islam von der Reaktion bestimmt. Unser Beiträge sind zumeist Reaktionen auf Ereignisse, auf Angriffe, auf Ressentiments – wir sprechen über eine Art neue Lehre, die in erster Linie bezeugen will, was der Islam nicht ist. Was ist aber der Islam?

Im wesentlichen ist der Islam eine Antwort auf jede Zeit, in der wir sind und damit heute auch eine Offenbarung, die erklärt, wie mit den ökonomischen Bedingungen, Möglichkeiten und Erwartungen des Menschen umzugehen ist. Der Islam teilt dabei die Gelassenheit, dass der Mensch alleine nicht die Herrschaft der Technik umgestalten kann.

Brüderlichkeit im Islam zeigt sich nicht als leeres Postulat, sondern darin, wie wir in der Alltäglichkeit miteinander umgehen und wie wir miteinander handeln. Papier wiegt auf Dauer nicht Gold oder Öl auf. Brüderlichkeit zwischen uns umfasst „zu welchem Preis, mit welcher Güte und mit welchem Geld“. Der Islam führt eine Grenze in die Möglichkeit endloser Kapitalerhebung ein, erklärt ein Maß und verbietet die Spekulation mit Dingen, die noch nicht in unserer Hand sind.

Die Armut der islamischen Welt zeigt sich heute darin, dass der Markt, als Symbol der Freiheit, durch die Bank, das Symbol der Unfreiheit, ersetzt wurde. Das Ende des freien Marktes war der Beginn einer Welt ohne Islam.