Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

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Regionalwährungen als Ergänzung zum herkömmlichen Geld erleben derzeit einen wahren Boom

Die Erdbebenkatastrophe von Kobe 1995 war eine Initialzündung. Seit damals breiten sich „Regionalwährungen“ in rasender Geschwindigkeit über den krisengeschüttelten Inselstaat aus, Mitte des Vorjahres waren es bereits 600 Systeme. Warum gerade eine Naturkatastrophe diesen Prozess angetrieben hat, ist rasch erklärt: Die ehrenamtlichen Helfer sollten eine gebührende Anerkennung für ihre Tätigkeit erhalten. Dazu wurde nach dem US-Vorbild des „Time Dollars“ neue Verrechnung-Einheiten namens „kippu“ – auf neudeutsch: „Ticket“ – eingeführt: Die Helfer erhalten eine Zeitgutschrift, die sie weitergeben können, mit der sie also ihrerseits Leistungen bezahlen können.

In den Augen der beiden alternativen Ökonomen und Buchautoren Bernard Lietaer und Margrit Kennedy erfüllt dieses System die wesentlichste Eigenschaft einer Währung: Geld ist alles, was eine Gemeinschaft für sich als Tauschmittel akzeptiert. Unter diese Definition fallen viele verschiedenste Systeme, bis hin zu Vielfliegerprogrammen – mit den übertragbaren Bonusmeilen kann ja mittlerweile auch eingekauft werden.

All diesen „Geld“-Systemen ist gemein, dass ungenutzte Ressourcen verfügbar gemacht werden können, um mit ihnen „unbefriedigte Bedürfnisse“ zu stillen – seien es soziale, ökologische oder rein wirtschaftliche. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Es geht diesen Regio-Alternativmodellen nicht darum, das jetziges Geldsystem durch ein alternatives zu ersetzen, sondern um ein komplementäres zu ergänzen.

Letzteres soll vor allem eines leisten: Geld zur Verfügung zu stellen, das nicht zur Wertaufbewahrung gehortet wird, sondern unter den – freiwilligen – Teilnehmern der Komplementär-Systems zirkulieren kann. Dieser Gedanke wurde erstmals formuliert von dem Ökonomen Silvio Gesell, der in den 1920-er Jahren für eine „Umlaufsicherung“ von Währungen durch eine schrittweise Entwertung eingetreten ist. Dadurch solle das Geld aus der Sphäre des Spekulativen herausgenommen werden und dort zirkulieren – und nicht abfließen -, wo es sich produktiv auswirkt: im regionalen Kreislauf. In der Krisenzeit zwischen den beiden Weltkriegen fand dieser Gedanke große Verbreitung.

Kennedy und Lietaer nennen drei wesentliche Teile für funktionstüchtige Regionalwährungen („Regios“): ein Gutscheinsystem, einen Kooperationsring zur Verrechnung des Austausches von Gütern und Dienstleistungen sowie eine Mitgliedsbank. Für alle drei Bereiche gibt es funktionierende Beispiele: etwa der Schweizer WIR-Tauschring, in dem 60.000 Mitglieder einen Jahresumsatz von gut einer Mrd. Euro abwickeln. Oder die schwedische JAK-Bank mit 25.000 Mitgliedern und 65 Mill. € Einlage.

Auch in Europa blüht die Szene der Komplementärwährungen, erst kürzlich wurde eine Dachorganisation im deutschsprachigen Raum geschaffen (www.regionetzwerk.de). Die meisten Versuche finden sich im Umkreis von Globalisierungskritikern, anthroposophischen und christlichen Organisationen. Wer aber nun eine rein „linke“ Bewegung vermutet, den belehren die beiden Autoren eines besseren: Es gehe nicht darum, die Marktwirtschaft abzuschaffen – „wir werden der Armut kein Ende setzen, wenn wir unsere bestes System zur Schaffung von Reichtum zerstören“ – sondern um eine Umlenkung der Marktkräfte, um Fehlentwicklungen zu korrigieren.

Margrit Kennedy, Bernard Lietaer Regionalwährungen. Neue Wege zu nachhaltigem Wohlstand 310 S., brosch., 18,50 Euro (Riemann Verlag, München)