Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Schachtschneider und die Krise des Rechts

„Wenn jetzt Kompetenzen nach Europa verlagert werden, verlange ich eine Volksabstimmung“  (Frank Schäffler, MdB/ FDP im FOCUS-Interview)

Als Jurist hat man eine gewisse Sympathie für brillante Rhetorik und glasklare Dogmatik. Gestern in Berlin hörte ich mir – gewissermaßen zur Weiterbildung – einen interessanten Vortrag des Staatsrechtlers Prof. Schatzschneider an. Der Jurist ist ein profilierter, manche sagen auch brillanter Euro-Kritiker, der leider hin und wieder auch das Publikum mit eher oberflächlichen Fernbeobachtungen zum Islam unterhält. Im Kern ging aber gestern nicht um den Islam, sondern um die Erosion der Verfassungswirklichkeit in Deutschland.

Die Verfassungslage der Bundesrepublik beschreibt Schachtschneider in Zeiten der Euro-Krise nüchtern bis emotionslos. Die Europäische Union versuche, die Bundesrepublik seit dem Maastricht-Vertrag in einen Bundesstaat mit Transferunion zu integrieren, jedoch ohne selbst – so Schachtschneider – überhaupt demokratiefähig zu sein. Dieser Widerspruch werde zwar von breiten Kreisen der Bevölkerung wahrgenommen, nur – so Schachtschneider lapidar – „gebe es keine echte Opposition mehr im Lande“.

Was tut man in einem Staat, wenn die Politik die Achtung gegenüber dem Recht verliert? Diese schwelende Grundfrage jedes Rechtsstaates fordert das Denken des Juristen heraus. Die politische Klasse, von den Abgeordneten bis hin zu den Medien, habe heute längst – so zumindest die Analyse des Staatsrechtler – den demokratischen Kompass verloren. Der Parteienstaat habe die Gewissensfreiheit des Abgeordneten unterminiert und das Parlamentsprinzip in eine tiefe Krise geführt. Hier, in dieser Ausnahmesituation – so Schachtschneider mit Verve – müsse alle Hoffnung auf den Träger des Rechts, den Bürger und – als Hüterin der Verfassung – auf das Bundesverfassungsgericht gesetzt werden.

Es gehört zu Schachtschneiders überzeugendsten Passagen, wenn er den Bürger mit dessen „Recht auf Recht“ aus der passiven Unterordnung zur politische Klasse herausführen will und ihn gleichzeitig an seine Freiheits- und Bürgerrechte erinnert. Nur das Bundesverfassungsgericht, so Schachtschneider weiter, könne dem Bürger in dieser Situation effektiven Rechtsschutz gewähren.

Eine Alternative zur drohenden Politisierung des Rechts zu denken, ist dabei eine der wichtigsten Aufgaben der Rechtslehrer im Lande. Auch für den muslimischen Juristen ist das Thema vertraut, ist die Krise des Rechts gegenwärtig. Man denke nur an „Selbstmordattentate“ oder die „Umgehung des Zinsverbotes“, an das Wirken von muslimischen „Diktatoren“ oder „Oligarchen“. Dies sind allesamt Phänomene, die nur dann möglich werden, wenn politische Ideologie das Recht aushebelt.

Der streitbare Professor schätzt übrigens die Klageaussichten seiner Karlsruher Klage gegen die Griechenlandhilfe eher pessimistisch ein. Auch die Karlsruher Richter seien – mit wenigen Ausnahmen – in ihren Ansichten politisiert. „Es sei zu befürchten“, so der Jurist, „dass das Gericht wieder einmal das Parlament, nicht aber die Bürgerrechte stärke“. Nur noch mit Mühe könne das Gericht in seinen europarechtlichen Überlegungen die nach Art. 146 GG verfassungsrechtlich gebotene Volksabstimmung über die „Aufgabe der Staatseigenschaft“ umgehen.

Es ist wohl ein Verdienst von Schachtschneider, dass er mit seinen über 300 Seiten langen Klagen das Gericht zu einigen dogmatischen Erwägungen und Begründungen zwingt. Die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts, dass nur das Parlament, nicht aber der Bürger eine andere Politik einklagen können, lehnt der Jurist dabei rundweg ab. Für Schachtschneider ist gerade dieser Rechtsschutz in einer Demokratie essenziell, denn ohne ihn „tut die Politik, was sie will“.

Wer in Deutschland scharfzüngig und wortgewaltig über die Rolle des Rechts philosophiert, wird natürlich auf den bekanntesten Dogmatiker, Carl Schmitt, angesprochen. Eine Journalistin von Cicero-Online möchte gerne wissen, ob Herr Schachtschneider hier anfällig ist. Aber auch hier zeigt sich der Mann schlagfertig. Er setzt sich als überzeugter Kantianer so überzeugend wie klug von Carl Schmitt ab, der das Recht nur als Ausformung von Politik ansah, während Schachtschneider in seinem gesamten Vortrag klarstellte, dass er ja Politik nur als Ausformung des Rechts betrachtet.

Dann ganz am Schluss stellt Schachtschneider – wie beinahe erwartet und vielleicht auch um die eigene Begeisterung über die Wortgewalt des Kollegen in Grenzen zu halten – fest, dass der Islam nicht demokratiefähig sei und – nach der Eurodebatte – die sich ja letztlich selbst, wegen des unabänderlichen Falls des Euros erledige, die eigentliche Auseinandersetzung mit dem Islam anstehe. Ehrfürchtiges – man könnte auch sagen mehrdeutiges – Schweigen im Publikum auf diese Aussicht.

Zunächst wundert mich, dass der, sich auf Dogmatik verstehende Professor die „provokant-religiöse“ Frage nicht auf den Kapitalismus angewendet hat. Muss denn nicht zunächst gefragt werden, ob der Kapitalismus (sei es auch in nationalen Grenzen) demokratiefähig ist? Löst sich das Problem wirklich, wenn wir wieder „national“ denken? Oder braucht der Nationale, der ja nicht nur vom Brot allein lebt, doch das Feindbild?

Und, könnte die Rolle der Religion – insbesondere des islamischen Wirtschaftsrechts – nicht sein, ein Maß, eben in einer globalen, technisierten Welt anzubieten? (Interessanterweise wirkt die Krise des Rechts, die sich in der Übermacht der Ökonomie zeigt, ja gerade auch in der islamischen Welt). Die These, die Schachtschneider präsentiert, dass alles gut werde, wen wir in der deutschen Provinz das Recht auf „Stabilität“ einklagen, klingt dann in einer Welt größter Verschiebungen und dramatischer Wandlungen doch eher simplizistisch.

Der Vorwurf des Gelehrten, der Islam – mit der Einschränkung präsentiert, dass ja nicht alle Muslime islamisch denken würden – sei nicht demokratiefähig, ist eine populistisch eingeführte Binsenweisheit. Jede Religion ist nicht vollständig demokratiefähig, da der Glaube an Schicksal, an eine höchste Instanz und an ein offenbartes Buch mit der religiösen Verklärung von Gerichten und Verfassung schwer einhergeht. Nur, es gibt deswegen noch lange keine Christen, Juden und Muslime im Lande, die in einer konzertierten Aktion, oder gar mit Hilfe einer politischen Machenschaft, einen „Gottesstaat“ etablieren wollten oder könnten.

Die von Schachtschneider phantasierte Option, beziehungsweise unterstellte Problematik, Muslime würden in der Bundesrepublik eine „absolute Religionsfreiheit“ einfordern und diese so bedrohen, ist eine wirklichkeitsferne Fiktion. Realität ist, dass es deutsche Muslime und muslimische Eliten gibt, die die Interessen des Landes und islamische Überzeugungen durchaus zusammen denken können. Mich würde interessieren – das ist immer mein erster Verdacht –, ob Schachtschneider auch nur einen Vertreter dieser Elite persönlich kennt?“
„2011-02-28″;“Religion des Säkularen“;“Tayyib Erdogan verunsichert die Garde der deutschen Politiker wohl schon deswegen, weil seine Beliebtheit in der Türkei und in der muslimischen Welt ungebrochen ist. In Deutschland füllt Erdogan mühelos große Hallen und allgemeine Begeisterung ist ihm auch hier sicher. Ich habe selbst den erstaunlichen Aufstieg Erdogans und seine wohlverdiente Popularität in den letzten Jahren miterlebt und immer wieder bewundert.

Naturgemäß ist die Düsseldorfer Rede des charismatischen und selbstbewussten Politikers Vorlage für Freund und Feind. Tatsächlich bietet seine Rede aber auch Vorlagen für einige Missverständnisse.

Die Aufforderung Erdogans an seine Zuhörer, zuerst Türkisch, dann Deutsch zu lernen, ist eine davon. Es gibt zwar eine ernstzunehmende wissenschaftliche Position, die diese Vorgehensweise tatsächlich für erfolgreicher hält, aber die Tatsache, dass Erdogan damit zugibt, dass es noch immer eine große Zahl türkischer Eltern in Deutschland gibt, die kein Deutsch können und sprechen, ist gleichzeitig ein Armutszeugnis und die Bestätigung für ein faktisches Integrationsproblem.

Natürlich ist die Forderung nach Erlernen und Praktizieren der deutschen Sprache ein legitimes Anliegen der deutschen Gesellschaft. Klar ist auch, dass die Integrationspolitik Deutschlands völlig unabhängig von Ankara verlaufen muss.

Nachdenklich stimmt auch das Faktum, dass die Düsseldorfer Halle praktisch zu 100% in türkischer Hand bleibt. Da helfen auch viele bunte Fähnchen nichts. Deutsche Gäste bleiben eher Fehlanzeige. Wäre zumindest eine Übersetzung der Rede ins Deutsche nicht ein passendes und wichtiges Signal gewesen? Es ist nicht völlig unverständlich, dass das Plädoyer für die doppelte Staatsbürgschaft auch als halbe Loyalität für das neue Heimatland gedeutet werden kann.

Der Umstand, dass \“türkische\“ Organisationen auch nach Jahrzehnten noch immer nahezu ausschließlich an ihren alten ethnischen Trennlinien festhalten wollen, bleibt in jedem Falle ein bedenklicher und gleichzeitig antiquierter Umstand.

Ironisch ist bei alledem, dass eine authentische islamische Position eine ganz andere Haltung ermöglichen würde. Die Verteidigung der Kultur ist hier so lange periphär, so lange die islamische Lebenspraxis nicht betroffen ist. Über Jahrhunderte haben sich Muslime, mit wenigen Einschränkungen, die sich aus Grundsätzen wie dem Alkoholverbot verstehen lassen, durchaus kulturell assimiliert. Die Trennung anhand ethnischer Einteilungen ist dem Islam grundsätzlich fremd.

Die türkischen Verbände und Organisationen müssen aufpassen, dass der Islam nicht weniger wichtig wird als \“Nationalgefühl\“ und \“Kultur\“. Nationalismus und Kultur wird in dem Maß wichtig, wie die islamische Identität schwindet, oder anders gesagt, Nationalismus und Kultur ist die Religion des Säkularen.