Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Vergessen

Denkbar ist laut EU-Kommission auch eine Art „Positiv-Profil“ von Vielfliegern, die freiwillig ihre biometrischen Daten speichern lassen und damit leichter durch Flughafen-Kontrollen kommen könnten. Dies sei eine „interessante Idee“, die man weiterdiskutieren werde, hieß es. (Meldung in „Die Presse“)

Montag, Medientag. Die Bilder, für jeden, der den Islam liebt, wenig anregend. Der Bombenleger aus Kiel wird in den verschiedenen Medienhäusern, je nach Einstellung, als besonders religiös, leicht vertrottelt oder brandgefährlich dargestellt. Ob dieses Früchtchen Teil des internationalen High-Tech-Terrorismus oder nur Teil des allgemeinen internationalen Irrsinnes ist, wird noch einige Tage offen bleiben. Was bleibt, ist die unscharfe Einstellung der Kameras auf die Muslime, die ja auch, wie der Kieler, „beten“ und „religiös“ aussehen. Im Sicherheitsbereich werden gleichzeitg biopolitische Abgrenzungen hoffähig, bis hin zu neuen Wegen durch die Schaltstellen des Verkehrs: Sie haben Ihre Steuer bezahlt, sind blondhaariger Europäer und haben Kreditkarte, bitte rechts durch die Sicherheitsschleuse!

Das Unheimliche dieser Situation ist weniger die Innenpolitik, die ihrer Logik entsprechend nach Sicherheit und Ordnung strebt und mit dem Bundesinnenminister Schäuble glücklicherweise einen besonnenen Politker an der Spitze hat. Sorge macht eher die Zusammenkunft verschiedener, politischer, technischer, geistiger Momente, die eine Struktur schaffen ,die uns allen weiter aus den Händen gleiten kann. Der nach immer mehr Steuern und Sicherheit hungernde Staat, seine feingliedrigen Apparaturen der Überwachung, der subtilen Informationsgewinnung, die jederzeit zusammengeschaltet werden können, die endlose Gier unserer Wirtschaft nach Ressourcen, die wachsende Masse der ökonomisch Perspektivlosen, die Not,überhaupt zu definieren, was Europa oder christliches Abendland überhaupt noch meint. Und – leider – versteckt in den Millionen der Muslime, einige Hundertschaften entseelter muslimischer „Indianer“, die der, ganz christlich als Jammertal empfundenen Erde, entfliehen wollen.

Der Fall der Bombenleger aus Kiel erinnert an das Bild des Partisanen, das Carl Schmitt in den 70er Jahren zeichnete. Der Partisan kämpft nach Schmitt irregulär und nach einem verheerenden Anschlag, jetzt wieder in Anzug und Krawatte, mischt er sich unerkannt unter die Menschen. Nur, hier liegt der Fall etwas anders. Die Merkmale, die die Bombenleger kennzeichnen, lassen sich auf eine bestimmte Minderheit innerhalb der Bevölkerung eingrenzen. Dies verändert die Lage. Der Zorn der Mehrheit kann auf ein außerhalb ihrer Gruppe liegendes Ziel gerichtet werden und gleichzeitig können – zum Beispiel durch die Abschaffung des Begriffes der Ausländerfeindlichkeit – die Schutzwälle für diese Minderheit bereits empfindlich geschwächt sein. Die Öffentlichkeit argwöhnt bereits offen, ob die Dritte unsichtbare Partei, die den feindlichen Partisan nach seiner Theorie stützt, die Muslime sein könnten. Dieses Szenario birgt weitere Unsicherheiten, die uns alle betreffen, aber nur je nach Perspektive erkannt werden können (zum Beispiel aus der Perspektive jenes jungen Mannes, der neben dem Bombenleger gefesselt auf den Gleisen lag, weil er zufällig am falschen Ort war).

„Die Welt ist wunderbar im Ganzen“, diese Festellung ist heute ein schwierig gewordener Glaubenssatz, der das Sehenkönnen mit dem Herzen voraussetzt. Abends bei 3-Sat erinnert Roger Willemsen an diese uns innewohnende spirituelle Möglichkeit. Stets, ob es um Zürich, Flughäfen oder Afghanistan geht, erinnert Willemsen in brillianten Wortkonstellationen an das Ungewöhnliche und Ungesonderte, an die Macht der Sprache und des Miteinandersprechens. Von ihm kommt auch der an diesem Tage tröstende Satz, dass alles, was der Verwertung im Fernsehen ausgesetzt wird, ausnahmslos dem Vergessen anheimfällt. Was bleibt, ist eher wie man wohnt, ob und wie man mit den Nachbarn spricht, sprechen kann, ob man Sorge trägt für die Stadt, in der man wohnt. Hier, in der Nachbarschaft unserer Moscheen, entscheidet sich, was bleibt, und – ob man bleiben kann.