Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

„Wer groß denkt, muss groß irren“

„Wer groß denkt, muss groß irren.“ Unter diesem Motto veröffentlicht Manfred Geier eine neue Einführung in das Werk des Jahrhundertphilosophen Martin Heidegger. Geier, geboren 1943, promovierte zuvor über Noam Chomskys Sprachtheorie und die amerikanische Linguistik und hat bereits mit zahlreichen Buchveröffentlichungen beeindruckt. Geier lebt in Hamburg und ist seit 1982 als Sprach- und Literaturwissenschaftler an der Universität Hannover tätig. Mit seiner verständlichen Einführung in das Werk des Schwarzwälder Philosophen eröffnet er hoffentlich neue, frische Debatten über einen genialen Denker.

Heidegger wird bis heute wie kaum ein Anderer geliebt, abgelehnt, beschimpft und verteidigt, und Heidegger hat wie kein anderer Philosoph eine beinahe uferlose Sekundärliteratur ausgelöst. Wer über das letzte Jahrhundert denken will, kommt an der Lektüre seines Klassikers aus dem Jahre 1927, „Sein und Zeit“, einfach nicht vorbei. In der Abgeschiedenheit des Schwarzwälder Bergdorfes Todtnauberg wirft Heidegger jahrhundertelanges Denken, gefangen in den Begriffen von Subjekt und Objekt, radikal über den Haufen. Die Forderung des Denkers ist einfach: Der Leser soll erfahren, dass er sein eigentliches Dasein der Existenz abzuringen hat, da er von Natur aus zur Verfallenheit und zur Uneigentlichkeit neigt.

Martin Heidegger (1889-1976) hat ein eher provinzielles Leben geführt und führte sein Leben und Denken als schicksalhafte Suche nach dem „Geheimnis des Großen“. In stets neuen Anläufen reflektiert er über Gott, Dasein, Macht und Nationalsozialismus, bis schließlich über Kunst und Dichtung. Vor allem sein spätes und skeptisches Denken über das Wesen der modernen Technik prägt bis heute das Verstehen einer sich immer mehr als Einheit zeigenden neuen Welt, zwischen der Raserei der Globalisierung und der Quasi-Offenbarung des Internets. Das „Riesenhafte“ des neuen globalen Kapitalismus lässt sich für Heidegger nicht durch die alte christliche Moral begrenzen – davon abgesehen, dass sich der moderne Mensch kaum noch nachhaltig am Skandal neuer, astronomisch anmutender Opferzahlen empört. Der späte Heidegger reflektiert so, was übrig bleibt, wenn Gott als Ordnungs- und Begründungsinstanz wegfällt und sich der Wille zur Macht hemmungslos in Szene setzt.

Wo ist die Lösung? Sie liegt nicht im alten politischen Einmaleins. Der Mensch, so Heidegger, hat die Herrschaft über die Technik selbst verloren und es ist nach Heidegger ein abgründig tiefer Irrtum, wenn er glaubt, einen anderen Anfang könne man – sei es durch Parteien, neue Ideologien oder politische Bewegungen – einfach machen. „Nur ein Gott“ resümiert Heidegger im Spiegel-Interview geheimnisvoll „könne retten“. Ein Gedankengang, den auch Muslime nach dem Scheitern des arabischen Modernismus und der Politisierung des Islam durchaus nachvollziehen können. Wer einige der Heideggerschen Feldwege bis zu seinem Tod mitgeht, eignet sich kaum noch zum blinden Parteigänger.

„Zur Lösung konkreter politischer, moralischer oder geistiger Probleme trägt seine Philosophie nichts bei“, erkärt allerdings Geier trocken. Dabei schreckt Geier allerdings davor zurück, die Technikanalyse Heideggers in Zusammenhang mit den modernen Abgründen der Finanztechnik zu bringen. Heideggers Denken sei für eine pragmatische Gesellschaftskritik nicht zu haben, meint Geier lapidar, „aber sie übt dennoch einen großen Reiz aus, weil sie die ursprünglichen Fragen der europäischen Philosophie nach dem Sein und dem Nichts mit existenziellen Grundstimmungen verknüpft wie Angst, Einsamkeit, Langeweile, Gleichgültigkeit, die den modernen Menschen zu überwältigen drohen“.

Die harsche Kritik an Heidegger entzündet sich zumeist an der Frage, ob Martin Heidegger ein Vordenker des Nationalsozialismus gewesen sei. Dies behauptet jedenfalls der französische Philosoph Emmanuel Faye und stellt die moralische Integrität Heideggers, wenn auch aus der Sicherheit seines französischen Schreibtisches, in Frage. Heidegger hatte zu Beginn der Nazi-Herrschaft das Rektorat der Freiburger Universität übernommen. Der Philosophieprofessor Martin Geier legt nun Widerspruch zu diesen eher simplen Thesen ein und versucht, sich dem Phänomen Heidegger eher unideologisch zu nähern. Das umstrittene Engagement ordnet Geier unaufgeregt in den historischen Kontext ein und überlässt es dem Urteil des Lesers, ob Heidegger damals genug Held war oder nicht.

Geiers Urteilen überzeugt dabei, weil es sich nicht mit erhobenem Zeigefinger wichtig macht: „In der Gesamtentwicklung ist Heideggers Bild, das er sich vom Nationalsozialismus zusammengedacht hat, nur eine Episode. Darum kann man nicht unterstellen, dass seine gesamte Philosophie nationalsozialistisch sei.“ Nun wird der muslimische Leser vor einem blinden „Heideggerianertum“ sowieso gefeit sein, dem Versuch des deutschen Denkens die Einheit sprachlich zu fassen aber mit einigem Interesse begegnen. Man muss ihn also nicht lieben, aber verstehen würde man ihn gerne.