Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Islam und Kommunalpolitik?

Was sind positiven Ziele der Muslime in Europa? Haben wir einen Beitrag zu den gesellschaftlichen Problemen in unserem Land? Dieser Frage geht die Islamische Zeitung immer wieder nach. Meiner Meinung nach lassen sich solche Beiträge auch durchaus definieren:

Das Thema der Integration der Muslime in Europa ist beispielsweise in aller Munde. Je nach politischer Verortung wird die Lage mehr oder weniger subjektiv dramatisiert oder romantisiert. Die Wahrheit scheint wie so oft dazwischen zu liegen: die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Natürlich ist auch in deutschen Großstädten eine Ghettobildung nicht zu übersehen, aber die durchaus mögliche, konstruktive Rolle der Muslime bei der Problemlösung wird dabei eher unterschätzt. Anarchie und Verbrechen als integrierter Bestandteil verwahrloster Wohnsilos sind den Muslimen ebenso ein Greuel wie ihren deutschen Nachbarn. Sorgen gibt es auf allen Seiten: nicht nur der Einfluss des Staates, sondern auch der Einfluss der Moscheegemeinden auf die jungen Muslime ist dramatisch geschwunden. Hier könnte man – vor allem auf kommunalpolitischer Ebene – also durchaus zusammenarbeiten. Die Muslime müssten dabei die Kommunen als Partner und die Kommunen praktizierende Muslime als Chance begreifen. Wie könnte dies funktionieren?

Beide Seiten müssen zunächst bereit sein, neue Wege zu gehen. Es liegt beispielsweise im Interesse von Kommunen und Muslimen, dass Muslime viel stärker in den Lokalparlamenten mitarbeiten. Muslimische Gemeinderäte oder Stadtverordnete könnten einen Bogen zu den muslimischen Gemeinschaften schlagen. Muslime, die sich heute kaum repräsentiert fühlen, könnten hier die ersehnte gesellschaftliche Anerkennung erlangen. Muslime sollten sich dabei nicht durch das wachsende Desinteresse der deutschen Bevölkerung an der Arbeit der Lokalparlamente irritieren lassen. Vor Ort wird immer noch einiges entschieden, was gerade für Muslime von Belang ist: Baugenehmigungen, soziale Initiativen, Kindergärten, Zuschüsse oder das Marktrecht – um nur einige Beispiele zu nennen -, all dies kommt in den lokalen Parlamenten zur Sprache. Hier wird weniger ideologisch oder parteipolitisch, als vielmehr pragmatisch entschieden, was dem Gemeinwesen zu Gute kommt. Die interessante Frage wäre also, ob die Muslime einen Beitrag für dieses Gemeinwesen definieren könnten, statt immer nur als Problem wahrgenommen zu werden.

Das Problem in den Randzonen der Gesellschaft ist denkbar einfach. Junge Menschen wollen arbeiten, ihre Freizeit sinnvoll verbringen und als Bürger Innen anerkannt werden. Hier geht es also nicht allein darum, von den Jugendlichen abstrakte philosophische Erklärungen oder Beiträge zur Wertephilosophie abzurufen. Die Frage ist, ob arbeitslosen und perspektivlosen Jugendlichen in unseren Städten sinnvolle Handlungsalternativen angeboten werden können. Es ist eine Binsenweisheit, das zeigen Beispiele in Ost- und Westdeutschland, dass Jugendliche in sozial schädliche Zusammenhänge abdriften können. Es kann niemandem daran gelegen sein, solche Bedrohungsszenarien zu schüren oder allein nach dem starken Staat zu rufen. Praktizierende junge Muslime sind es nicht, die – wie nun in Frankreich zu sehen ist – Autos anzünden oder sich Gewaltexzessen hingeben. Der Schlüssel könnte in der sozialen Kompetenz der Muslime liegen, die jedoch heute immer mehr verkümmert.

Die Kommunen sollten schnell das Problem erkennen: Der Islam in Deutschland hat noch immer nicht seine konstruktive architektonische Verortung gefunden. Moscheen sind keine Kirchen und muslimisches Leben verkümmert oder neigt zur Ideologisierung, wenn es allein in Hinterhöfen stattfindet. Kommunen sollten also Muslimen Platz einräumen für das eigentliche soziale Grundmodell des Islam: die Moscheeanlage, die allen BügerInnen dient und mehr ist als nur eine Moschee. Wovon hier die Rede ist, sind religiöse Orte, die soziale und kommunale Einrichtungen miteinander verbinden. Warum sollte der deutsche Nachbar nicht das Hamam benutzen, im Gemeindehaus Tee trinken oder am Kulturprogramm teilnehmen? Und – wenn man einmal träumen wollte – könnte ein islamischer offener Markt, seit Jahrhunderten von der Moscheeanlage nicht wegzudenken, nicht dem ganzen Stadtteil neue Impulse geben?

Man sollte nicht so naiv sein, die Gegenrede nicht gleich mit zu bedenken. Entstehen so, wird man sich fragen, nicht luxuriös ausgestattete Parallelgesellschaften, gar Gegenmächte zur öffentlichen Ordnung? Wie oft, wenn es um den Islam in Deutschland geht, steckt in mancher Kritik auch ein Fünkchen Wahrheit, und Muslime sollten diese auch zur Kenntnis nehmen. Die aktuellen politischen Organisationsformen der Muslime sind bisher weniger Teil der Lösung als Teil des Problems. Die national und zentralistisch ausgerichteten Organisationen waren bisher nicht in der Lage, ihre Einrichtungen weniger als politische Sammelstellen, sondern als soziale Dienstleister für alle BürgerInnen erscheinen zu lassen. Die Infrastruktur der Muslime in Deutschland ist mehr als bescheiden. Darüber hinaus wirken die meisten Moscheen noch immer wie exterritoriale Zonen. Für die Kommunen sind daher einheimische islamische Stiftungen interessante Kooperationspartner.

Es fällt tatsächlich auf, dass die durchaus potenten islamischen Organisationen bisher kaum Stiftungen etabliert haben. Die Gründe sind simpel: Das islamische Stiftungsrecht ist nur bedingt politischer Macht und ihrer etwaigen Instrumentalisierung zugänglich. Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass die großen Stiftungen traditionell immer wieder von Frauen geführt worden sind. Stiftungen und ihre Vor-Ort-Funktionen sind daher naturgemäß basisdemokratisch und lokal orientiert. Stiftungen basieren weniger auf politischer Ideologie als auf den finanziellen Beiträgen der Stifter – oft erfolgreiche Geschäftsleute – und rufen so das soziale Engagement und die Begeisterungsfähigkeit der Muslime für soziale Belange ab. Die Stiftungen sind allein dem Gemeinwohl gewidmet und daher ein idealer Kooperationspartner von Kommunen. Das private Geld vieler muslimischen Stifter könnte so der Allgemeinheit zu Gute kommen. Darüber hinaus ist das deutsche Stiftungsrecht mit dem islamischen Recht durchaus kompatibel.

Gelänge es den Muslimen, das Vertrauen der Kommunen zu erringen, wären ganz neue Beiträge denkbar. Stiftungen können soziale und kulturelle Beiträge leisten und die öffentlichen Haushalte entlasten. Muslime können sich auch darauf besinnen, dass der Islam keine Kultur und islamische Architektur extrem anpassungsfähig ist. Die neue Moschee im Stadtviertel muss nicht an Bagdad oder Istanbul erinnern, sondern vor allem eine architektonische Brücke zu ihrem Umfeld schlagen. Auch dadurch können die vorhandenen Berührungsängste mit der deutschen Bevölkerung langsam abgebaut werden.

Vor allem in den sozialen Randbereichen der Städte könnten islamische Einrichtungen helfen, Jugendlichen eine Perspektive zu geben. Bisher haben die Kommunen die Moscheen und soziale Einrichtungen in Industriegebiete abgeschoben, ohne das durchaus vorhandene kreative Potential zu nutzen. Oberstes Ziel muss nun die Vermeidung der Ghettobildung und Änderung bestehender gettoisierter Stadtviertel zugunsten integrationsfördernder „gemischter“ Wohnstrukturen sein. Die Etablierung von Parallelgesellschaften kann nur durch Verbesserung der sozialen Strukturen verhindert werden. Die in Köln gegründete (leider noch zu dominant „türkisch“ denkende) Organisation UETD zielt in die richtige Richtung. Die Forderung der UETD nach einem Kommunalwahlrecht für Ausländer würde den Integrationsbemühungen der Städte einen weiteren Schub geben und die Aufmerksamkeit auf die in der Stadt lebenden Muslime erhöhen. Sie sind an konstruktiven Lösungen interessiert.