Es ist im Grunde ein Tabubruch und eine Art „Banküberfall“ von Oben: Das Beispiel Zypern zeigt, dass Guthaben oder Ersparnisse in der Europäischen Union in Krisenzeiten keinesfalls sicher sind. Nirgendwo. Eine Zwangsenteignung der Bürger gehört damit wieder zum rechtlichen Repertoire unserer Staaten, zumindest in Krisenzeiten. Zusammen mit diesem Phänomen muss man den aktuellen europäischen Trend verstehen, das Bargeld insgesamt aus dem Verkehr zu nehmen und als elektronisches Geld jederzeit staatlichem Zugriff und staatlicher Manipulation auszusetzen. Der absolute Untertan hat kein Geld in der Tasche.
In Deutschland warnt eigentlich nur der FDP-MdB Frank Schäffler hörbar vor dieser Entwicklung und verknüpft – wie in seinem aktuellen Newsletter – die grundsätzliche Verfügungsgewalt über das eigene Geld mit dem Begriff der Freiheit. Der Bürger hat nach dieser liberalen Theorie, der Schäffler folgt, sogar das Recht zu entscheiden, welches Tauschmittel er als Geld benutzen möchte. Der Entzug dieser Wahlfreiheit berührt sodann elementarste Grundrechte. Auch wenn es kaum jemand bemerkt, der Kreis schließt sich konsequent: Die Endstufe „schlechten Geldes“ in Form elektronischer Impulse geht mit der totalen Überwachung und Verdächtigung der Bürger einher. Nicht der Staat wird gläsern, wohl aber seine Menschen.
Noch immer gibt es bei uns Muslimen nur wenige Köpfe, die über diesen Zusammenhang von Geld und Freiheit nachdenken. Mehr noch: Die Quellen und Rechtsbücher unter dem Eindruck der Erfahrungen dieser Moderne neu aufschlagen. Es geht nicht um eine neue Ideologie. Die Reduktion des Islam auf das Politische ist eine geistige Mangelerscheinung. Tatsächlich plädiert der Islam für echtes Geld, für freie Märkte und für Tauschmittel, die kein Versprechen darstellen, sondern durch einen innewohnenden Wert gekennzeichnet sind. Natürlich setzt auch in der muslimischen Welt langsam eine neue Nachdenklichkeit ein. Tauschen die Muslime doch täglich wertvolle Ressourcen gegen inflationäres Geld, Papiergeld, das sie im besten Fall ethisch korrekt in Banken horten.
Überhaupt ergeben sich aus den ökonomischen Krisen unserer Zeit auch neue interessante Perspektiven. Die verbreitete Skepsis über die wundersame „Geldvermehrung“ geht mit Erinnerungen an die offenbarten Fundamente des Glaubens selbst einher. Die Religionen haben in ihren Überlieferungen – man denke nur an das Zinsverbot – interessante Ansätze für eine Neuauflage ihrer alten Debatten. Der Koran ist dabei bekanntermaßen die letzte Offenbarung, die gerade in der ökonomischen Krise maximalen Sinn entfaltet und als Phänomen der Sammlung weder von der Finanztechnologie, noch durch das Internet neutralisiert werden kann.
Soweit der Islam in Deutschland konkret betroffen ist, hätte auch ein „organisierter“ Islam, der seinen Namen verdient, also Organisationsformen die Wege aufzeigen und nicht nur den Stillstand verwalten, viele neue kreative Handlungsoptionen. Während die politische Mobilisierung ihrer Mitglieder gescheitert ist, bleibt den Verbänden die Konstante ihres ökonomischen und geistigen Potenzials. Was machen sie daraus?
Im Moment fragt man sich, was die Organisationen eigentlich organisieren. Es reicht bisher noch nicht einmal für eine professionelle Positionierung des Dachverbandes der Muslime in Berlin. Kaum zu übersehen sind auch die schleichenden Veränderungen in den Strukturen der Verbände selbst, eine Entwicklung hin – wie es schön heißt – zu „modernen religiösen Dienstleistern“, man könnte auch schärfer sagen, hin zum Geist moderner Wirtschaftsunternehmen mit religiösen Karrierechancen.
Die Auslagerung der Lehre an die Universitäten, mitsamt der Schaffung eines weltfremden Diskurses – fern der Realität der eigenen Gemeinschaft – hat dabei subtile Vorteile. Welcher „Theologe“ im eigenen Haus (geschweige denn an der Universität) könnte den Wandel des Rechts, zum Beispiel die Ersetzung der „Stiftung“ durch „GmbH’s“ theologisch gutheißen? Welcher Imam hätte in Deutschland, in einer organisierten Moschee, überhaupt die Möglichkeit, eine solche kritische Khutba zu halten? Auch hier sei wieder an den Begriff der Freiheit erinnert, denn Stiftungen sind frei, weil sie der politischen Kontrolle entzogen sind und allein dem Wohl der Muslime dienen, während GmbH’s eben nur einen individualisierten Machtanspruch repräsentieren.
Was wäre aber, wenn unsere Moscheegemeinden – über Jahrhunderte, wie ein Blick auf jeden Stadtplan zeigt – nicht nur um ein einziges sakrales Gebäude angelegen, wieder ihre anderen, tieferen Potenziale entdecken würden? Was bedeutet es eigentlich heute, wenn wir – unserem Recht entsprechend – unsere Zakat eben nicht mit Papier bezahlen können? Tatsächlich liegt hier, im ökonomischen Kontext, in der ökonomischen Herausforderung, die alle Formen des „politischen Islam“ verkennen und ignorieren, eine ungeahnte Kraftquelle. Nämlich dann, wenn wir nicht nur gemeinsam beten, sondern auch gemeinsam unseren Einkauf und Handel organisieren. Die Idee, um nur ein Beispiel zu nennen, einer muslimischen Einkaufsgenossenschaft – rum den Halal-Markt und rund um das Halal-Geld – entfaltet unendlich mehr Zukunft, Spannung und Gemeinsamkeit, als es ein verstaubter Verband – zudem auf ethnischer Grundlage verfasst – je mehr wird beanspruchen können.
In diesem Licht betrachtet ist die unabhängige Moschee, die den Marktplatz als gleichberechtigten Teil ihrer Spiritualität und geistigen Ordnung begreift, nicht nur das alte, sondern zugleich auch das neue Modell. Es ist die Urform menschlichen Zusammenhalts; die Gewissheit, dass nur diejenigen sich auf Dauer der Unfreiheit entziehen können, die die ökonomischen und sozialen Praktiken, die den Islam ausmachen, als Teil der Lebendigkeit unserer Glaubenspraxis begreifen. Es ist diese Suche nach solche ökonomischen und sozialen Alternativen, die Europa heute spirituell ausmacht.