Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

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„Revolution ohne Grenzen“

Der britische Historiker Christopher Davidson gilt als einer der Kenner der Nahostregion. In seinem neuesten Buch «After the Shaikhs» kündigt der Autor den baldigen Fall der Golfmonarchien an. Davidson hatte schon vor Jahren die 2009 Finanzkrise in Dubai vorausgesagt und damit das Thema einer bevorstehenden geopolitischen Revolution vorweggenommen. Sollte der Befund Davidsons auch dieses Mal zutreffen, sind die Folgen für Ost und West kaum absehbar.

Die Golfmonarchien der Vereinten Arabischen Emirate, Kuwaits, Katars, Oman und Bahrains wurden Jahrzehnte von aristokratischen Regierungen beherrscht. Genauso lang waren sie Orte einer gewissen Stabilität und – zumindest für die Einheimischen – steuerfreie Wohlfühlzonen. Der Ruf nach Demokratie, so erklärte der Finanzminister Dubais, Schaikh Hamdan, der westlichen Presse einst, erklinge nicht sehr laut in Ländern mit kostenlosen Gesundheitssystemen und ohne nennenswerte Steuern. Doch die Zeiten haben sich geändert.

Mit Sorge beobachten die Monarchien die «revolutionäre Energie», die ihnen in Bahrain oder in Ägypten in Form der Muslimbruderschaft und den schiitischen Revolutionären entgegentritt. Die Mobilisierung der arabischen Massen hat auch eine klar antimonarchische Tendenz. Der traumhafte Luxus und die Tendenz zur Dekadenz einiger Herrscher hat den politischen Massenbewegungen ein Feindbild gegeben. Auf Al Jazeeras, dem populären Fernsehsender aus Katar, polemisieren regelmäßig Vertreter der Muslimbrüder gegen die Königs- und Fürstenhäuser der Region, die alle Araber im Stich gelassen hätten. Die revolutionäre Demokratisierung sieht für diese alten Fürsten- und Königshäuser bestenfalls noch eine repräsentative Funktion vor.

Im Westen dürfte das Szenario Davidsons gemischte Gefühle auslösen. Die Golfstaaten sind bisher wertvolle Geschäftspartner und treue Alliierte, da die Monarchen wissen, dass sie ohne Hilfe fremder Truppen in geopolitisch exponierter Lage kaum überleben können. Der Deal funktionierte bisher prächtig. Jedes Jahr verkaufen die EU-Staaten Rüstungsgüter im Westen hunderter Millionen Euros in die Region. Eine Revolution, so dachte man lange Zeit, käme da eher ungelegen, wären doch sichere Geschäftsaussichten und die letzten stabilisierenden Faktoren im arabischen Raum dahin.

Nur allzu sicher können sich die Monarchien über die Loyalität ihrer Partner nicht sein. Mit einigem Argwohn dürften die Golfstaaten die Annäherung der Amerikaner zur Muslimbruderschaft verfolgen. Nicht wenige Beobachter sehen die Unterstützung des politischen Islam Ägyptens durch die USA als Kern ihrer Nahoststrategie. Der politische Islam soll dabei die religiöse Energie der Araber binden und gleichzeitig die Länder ökonomisch den Interessen des internationalen Kapitals öffnen. Die Region – mitsamt ihren antiquierten Diktaturen – könnte so «grenzenlos» modernisiert werden, ohne dass die USA ihren gewohnten Einfluss verliert.

In den Vereinten Arabischen Emiraten, eigentlich Bündnispartner des Westens, geht man allerdings mit aller Härte gegen die potentiellen Muslimbrüder im Lande vor. Im März begann ein Prozess gegen die so genannte «Al Islah»-Gruppe, die man als Ableger der Muslimbrüder ansieht. Den 94 Beschuldigten wird sogar vorgeworfen eine Verschwörung gegen den Golfstaat geplant zu haben. Der Generalstaatsanwalt Salem Kobaish warf der Gruppe vor, eine Geheimorganisation gebildet zu haben und mit ausländischen Provokateuren zusammen zuarbeiten. Die Gruppe selbst beruft sich dagegen auf die Verbreitung demokratischer Ideale.

Viele einfache Muslime in den betroffenen Staaten sehen die jüngsten Entwicklungen mit gemischten Gefühlen. Der unbestimmte Begriff der «Revolution» hat im islamischen Vokabular des sunnitischen Islam eigentlich keinen Raum. Zwar gibt es eine breite Kritik am oft aufwendigen Lebensstill der Monarchen, man sieht aber auch ihre zeitlose Funktion als Hüter der islamischen Lebensformen in den verschiedenen Emiraten. In der politischen Theorie sollte die Monarchie, neben stabilen Verhältnissen, eigentlich die Solidarität der Reichen zu den Armen, durch die Erhebung der islamischen Pflichtabgabe (Zakat) und damit die Begrenzung der Macht von Oligarchen garantieren. Sollten sich die politisch-revolutionären Bewegungen in der arabischen Welt tatsächlich durchsetzen, vielleicht sogar den Fall der Monarchien verursachen, dann spricht viel für die künftig absolute Unberechenbarkeit der arabischen Welt. Der moderne politische Islam, der sich immer wieder auch flexibel über die Grenzen des islamischen Rechts hinwegsetzt, ist durch seine Polarität zwischen «liberalen» und «konservativen» Polen zutiefst zerrissen und kann jederzeit in organisiertem Extremismus oder auch Bürgerkrieg enden.

Wollen die Monarchien am Golf die These Davidsons über ihren baldigen Fall entgegentreten, müssen sie wohl ihren eigenen Bevölkerungen schnell deutlich machen, dass es ihnen nicht nur um sich selbst geht, sondern um die Sicherung eines gesellschaftlichen Mittelweges, jenseits der Extreme. Die Bewahrung der Bevölkerung vor Anarchie und Ausverkauf wäre wohl ihr stärkstes Argument. Genauso wie an anderer Stelle von der Muslimbruderschaft, dürfte aber von den Monarchien nicht weniger als eine Antwort für eine gerechte ökonomische Ordnung für den ganzen arabischen Raum erwartet werden. Jenseits des Gegensatzes von Volk und Herrscher gibt es bisher den Verdacht, dass Monarchien und politischer Islam sich bisher gleichermaßen den Interessen des internationalen Kapitalismus unterworfen haben.