Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Christentum?

Weihnachtszeit. Natürlich erinnert man sich da an glückliche Kindertage. An Bescherung. Tannenbäume, mit echten brennenden Kerzen, die, als das zu riskant wurde, durch sichere elektronische Leuchtketten ersetzt worden sind. Die Weihnachtsmesse am Abend, wo auch die Kinder mitdurften und eine ganze Schwarzwälder Gemeinde „Es ist ein Ros entsprungen“ sang, teilweise zur allgemeinen Erheiterung mit Doppel „s“ intoniert. Dann der Weihnachtsgottesdienst am nächsten Tag, wo man mitmusste, 2 Stunden, die auch ziemlich lang werden konnten.

Natürlich ist die Frage, ob man wirklich Christ ist und die Debatte über das Christentum nicht nur eine generell spannende, sondern auch eine deutsche Frage. Wer dabei Nation, Deutschland und Christentum vorschnell verknüpfen will, um ein wenig geistige Heimat in dürftiger Zeit zu stiften, muss allerdings ein wenig Obacht geben. Denn, das ist auch Deutschland, nicht wenige unserer größten Dichter und Denker haben genau dieses Christentum ja bewusst überwunden. Jahrhundertdenker wie Martin Heidegger und Friedrich Nietzsche, oder Dichter wie Johann Wolfgang von Goethe und Rainer Maria Rilke konnten unter uns gesagt damit wenig anfangen.

Natürlich gehört die Frage nach dem Schöpfer und dem Sinn von Sein zum Originären, ist doch ein Kulturvolk ohne Religion eigentlich undenkbar. Die tiefere Auseinandersetzung mit verschiedensten Glaubensfragen gehört zur geistigen Aktivität jeden Volkes. Leider ist diese gute Tradition hierzulande durch ein grobes Bashing ersetzt worden. Das geht gegen Christen, die von muslimischen Rowdies angegriffen werden, aber auch gegen Muslime. „Wir sind gut, christlich und konservativ, weil sie es nicht sind“ hört man dann in dialektischer Einfachheit, wobei das Andere, immerhin die Weltreligion, durch den Typus „grölender Ali in der U-Bahn“ repräsentiert werden soll. So kann Identitätsstiftung gegen den „Feind“ gelingen und – ohne die nötige Eigenreflektion – doch ziemlich öde werden.

Die deutsche Philosophie, die Deutschland logischerweise mitprägt, hat auf ihrer Suche nach der Einheit, als eine Form, die man denken kann, ihre bekannten Probleme mit der Trinitätslehre. Nietzsche, der bekannterweise ganz gerne mit dem Hammer philosophierte und die christliche Metaphysik für tot erklärte, sah im Christentum sogar eine passive, geradezu uneuropäische Lebenshaltung. Europa, so Nietzsche, habe zwei Probleme „Alkohol und Christentum“ und die Deutschen, so die explosive Provokation des Meisters, seien ihrem Grunde nach dem Islam näher. Starker Tobak.

Aber auch das filigrane Universalgenie Goethe lehnte nicht nur den „Verdacht nicht ab selbst ein Muselmann zu sein“, sondern der Dichterfürst verbat sich per Testamentsanordnung jegliches christliches Symbol auf der eigenen Trauerfeier. Rilke las nicht nur im spanischen Ronda den Koran, er konnte auch mit der christlichen Konstruktion eines existierenden „Sohnes“ Gottes wenig anfangen. Er spottete darüber. Wer also Deutschland und Christentum eins setzen will, gar dabei an nationale Größe denkt, muss also gleichzeitig übergelegen, was er mit den Dutzenden der wirklich großen Deutschen, die der süffigen These im Wege stehen, anfangen will.

Natürlich gibt es auch andere Gründe, als unsere geistigen Traditionen belegen, immer neu am Christentum und an Religion überhaupt zu zweifeln. Warum konnten deutsche Christen Auschwitz, das Ergebnis der gottlosen Übermenschphantasien der Nazis – das, wie Hannah Arendt anmerkte, als Phänomen einfach nicht hätte passieren dürfen, nicht verhindern? Was ändert das abgründige Geschehen an unserer heutigen „condition humaine“ und unserem Verhältnis zur Schöpfung?

Ernst Jünger, der große deutsche Schritsteller und Konservative, so erinnere ich mich, wurde diese Frage in Bilbao, anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde gestellt. „Wie kann man noch sinnig leben, dichten, glauben nach Auschwitz?“ fragte ihn dort eine junge spanische Journalistin nach seiner Nachkriegsphilosophie. „Die Lage“, so Jünger trocken über das Leben nach dem Horror „bleibt auch danach unverändert. Jeder Mensch stirbt seinen eigenen Tod“. Erst nach seinem hundertjährigen Geburtstag trat Jünger selbst, der als Dichter die Welt als wunderbar im Ganzen beschrieb, übrigens dann doch noch dem Christentum bei, wohl auch, um auf dem romantischen Friedhof in Wilflingen begraben werden zu können.

In neuerer Zeit müssen sich Religionen weniger mit den Abgründen der Ideologien messen, als mit der – wie Walter Benjamin anmerkte, letzten Herausforderung in Form einer ultimativen, auch religiösen Praxis, dem Kapitalismus. Die kapitalistische Lebensweise rund um das Geld, bringt zahlreiche Rituale des Glaubens und Hoffens hervor, postuliert unverfroren ewiges Wachstum, betreibt wundersamste Geldvermehrung, zelebriert alles in Allem eine Vielzahl religiös anmutender Gebräuche. Ob der Mensch, auf sich alleine gestellt, überhaupt noch aus diesem Labyrinth wuchernder Strukturen finden kann, ist eine offene Frage, die Lage ernst.

Nicht nur die Finanztechnik, sondern auch die Technik selbst fordert die Schöpfung heraus. Sie relativiert nicht nur Wahrheit an sich, sie neutralisiert heute per technologischer Weltkultur eine ganze, junge Generation – und zwar ganz egal wo sie aufwächst, ob sie glaubt oder nicht. Das Internet hat Offenbarungscharakter angenommen. Aber auch die, die sich noch an das Erbe und an alte Wahrheiten erinnern können, Nationalisten, meist fortgeschrittenen Alters, die in aller Welt die Rückbesinnung auf die Nation fordern, haben zumeist doch das gleiche Problem: was macht das Eigene überhaupt noch aus?

Wer hier keine schlüssige Antwort hat und zudem auch noch zum Populismus, auch eine der deutschen Traditionen, neigt, unterliegt schnell der Versuchung, in der Abgrenzung zum Anderen und vermeintlich Fremden seine oberflächliche und instabile Identität zu konstruieren.

Wer die Not aber aushält, dass eine verlorene Identität nicht wieder einfach aus dem Ärmel gezaubert werden kann, wird weiter offen nach dem neuen Inhalt von Leben, Heimat und Religion fragen. Er wird die spürbar eingeschränkten Machtbefugnisse des Menschen zur Kenntnis nehmen müssen. Das „Gestell“, wie Heidegger den globalen, postnationalen Apparat zu nennen pflegte, nimmt dem Menschen nicht nur die Souveränität, der Nation ihre Macht, sondern entkräftet – ob wir wollen oder nicht – auch unsere gewohnten Glaubensformen. Paradox stellte Heidegger im SPIEGEL Interview fest, dass in dieser planetarischen Not eben nur ein „Gott“ retten könne. Da Heideggers Distanz zum Christentum belegt ist, bleibt das ein denkwürdiges, deutsches Rätselwort.

Wie steht es also mit der Rolle des Christentums in unserer ökonomisierten Gesellschaft? Schwere Frage. Ein Blick auf die christliche Partei im Lande zeigt das Dilemma. Im Schwarzwald war es noch in den 80er Jahren ein Skandal, wenn ein Mandatsträger der CDU eine außereheliche Beziehung hatte. Heute ist das egal. Das Christentum ist längst bis in das Alltägliche hinein unverbindlich geworden, ist eben nur noch, wie es Carl Schmitt bemängeln würde, „ein Wert unter Werten“. Kann Religion so noch ernst genommen werden?

In der Kernfrage nach dem Sinn des des Ökonomischen, der Schicksalsfrage, erwarten Menschen heute von der Religion nicht nur eindeutige Orientierung, sondern auch tatkräftige Einflussnahme. Im Christentum dieser Tage sind Autoren wie Jörg Guido Hülsmann und überaus wichtige Bücher wie seine „Ethik der Geldproduktion“ leider völlig an den Rand gedrängt. Die Frage, ob Geld moralisch ist oder sein kann, ist aber eine der „religiösen“ Fragen unserer Zeit. Nur Religion, die hier auch Antwort gibt, kann wiederbelebt werden.

Aus dieser Einsicht heraus scheint zumindest neues Fragen möglich, auf Grundlage einer notwendigen, konstruktiven Offenheit gegenüber dem Anderen, scheinbar Fremden. Es geht dabei um mehr, als nur um die groteske Erwartung, mit Andersgläubigen unter dem eigenen Christbaum zu sitzen. Es geht um eine geistige Haltung, die bei Deutschlands Eliten lange Zeit populär war, nämlich herauszufinden, was denn die anderen Religionen zu den brennenden Fragen unserer Zeit sagen.

Die erzkatholische Autorin Loretta Napoleoni hat diesen Denkweg und den konstruktiven Blick über den Tellerrand in der katholischen Zeitung Osservatore Romani angedeutet. Es geht um eine neue Glaubensdebatte mit relevanten Inhalten. „Wir glauben“ so die Journalistin „dass das islamische Finanzwesen durchaus zur Etablierung neuer Regeln für das westliche Finanzwesen beitragen kann…Scharia-gemäße Investitionsformen verhindern eine künstliche Erzeugung von Geld“.