Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Der Halal-Markt in Europa – Chancen, Probleme, Herausforderungen

Der Halal-Markt in Europa – Chancen, Probleme, Herausforderungen

Man geht wohl nicht zu weit, wenn man behauptet, dass das Europa dieser Tage vor einem gewaltigen Umbruch steht. Kein Tag vergeht in den Regierungszentralen in Berlin, Paris oder London ohne neue Sorgen über verschuldete Staaten und die Planung erneut nötig werdender Rettungspakete. Zur Disposition steht die künftige Rolle der Nationalstaaten in einer europäischen Union und natürlich auch der Wohlstand eines ganzen Kontinents. Die größte Finanz- und Schuldenkrise der Menschheitsgeschichte hat heute die europäischen Gesellschaften nicht nur im Kern erreicht, sondern auch tief verunsichert.

Nach einem Jahrzehnt des sogenannten Kampfes gegen den Terrorismus wird wieder deutlicher, dass wir dem Grunde nach in einem ökonomisch geprägten Zeitalter leben. Die ökonomische Macht hat das Primat der Politik verdrängt. Die Möglichkeit der Aquirierung gigantischer Mengen von Kapital dominiert die politische Landschaft. Es sind nicht die Extremisten, so bedauerlich ihre Existenz sein mag, sondern die ökonomischen Verhältnisse, die unsere Demokratien heute unterhöhlen und gefährden.

Gleichzeitig fallen in Europa zwei große Bildungsmängel immer stärker ins Gewicht. Über lange Jahre hatten die europäischen Eliten den dauernden Innovationsdruck und die verborgenen Gefahren der Instrumente moderner Finanztechnik größtenteils nicht bemerkt. „Was“ zum Beispiel „ein Derivat ist“, wussten noch bis vor Kurzem in der europäischen Politik nur wenige Fachleute. Sogar Parlamentarier beklagen öffentlich, dass sie die Regelungen zur Rettung des Euros im Grunde nicht verstehen.

Auf der anderen Seite ist der Islam in Europa, von einigen Schlagworten abgesehen, eine nach wie vor eher unbekannte Größe. Die Debatte über die Muslime in Europa ist zumeist nur eine Auseinandersetzung mit den Erscheinungsformen des politischen Islam. Das islamische Wirtschaftsrecht dagegen, für das tiefere Verständnis der islamischen Gesellschaften essentiell, ist nur wenigen Insidern ein Begriff. Nur langsam korrigieren die Muslime die zahlreichen Missverständnisse über ihre Lebenspraxis.

In dieser krisenhaften Situation in Europa bieten sich nun für die Muslime historische Chancen. Angeregt durch zahlreiche Berichte ist das Interesse Europas an der Position der Muslime und ihrer Offenbarung gegenüber wirtschaftlichen Fragestellungen gewachsen. Zum ersten Mal könnte der Islam in diesem Feld als „Teil einer Lösung“ und nicht nur als „Teil eines Problems“ erscheinen. Die ökonomischen Grundprinzipen des Islam sind bei genauerer Kenntnisnahme schlicht vernünftig.

Die „Anbetung des Kapitalismus“ dagegen, die, nach dem Fall des Kommunismus, seinen Lauf nahm, ist heute in Europa ernsten Zweifeln und der Suche nach Alternativen gewichen. Schon der Philosoph Walter Benjamin hatte die quasi-religiöse Seite des Kapitalismus kritisiert und angemerkt, der Kapitalismus diene „der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die die ehemals so genannten Religionen Antwort gaben“. Mit anderen Worten, die Aufklärung hat endlich das westliche Wirtschaftsmodell erreicht.

Die neue, veränderte Lage und die mögliche positive Bezugnahme auf den Islam erkannte vielleicht zuerst die italienische Intellektuelle Loretta Napoleoni. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands schrieb sie in den 90er Jahren ein Buch mit dem Namen „Schurkenwirtschaft“ und erklärte darin die verheerenden Wirkungen des endgültig grenzenlosen und entfesselten Kapitalismus. Im Islam erkannte die Journalistin eine anregende Form des maßvollen Wirtschaftens.

Einige Jahre später stellte die, eigentlich als Islamkritikerin bekannte, Autorin im „Osservatore Romana“, mit einigem Respekt über das islamische Wirtschaftsrecht sogar fest: „Wir glauben, dass das islamische Finanzwesen zur Etablierung neuer Regeln für das westliche Finanzwesen beitragen kann…Scharia-gemäße Investitionsformen verhindern eine künstliche Erzeugung von Geld.“ Sie hat damit einen entscheidenden Punkt getroffen.

Chancen

Die spürbare Präsenz von über 55 Millionen Muslimen in Europa hat es natürlich mit sich gebracht, dass viele „normale“ Europäer auch einige Aspekte der Lebenspraxis des Islam zur Kenntnis nehmen. Die meisten Europäer wissen, dass Muslime kein Schweinefleisch essen oder keinen Alkohol trinken und dies als Teil einer „gottgewollten“ Lebensführung betrachten. Dass Dinge in einer Religion „erlaubt“ und „verboten“ sind dürfte ebenfalls bekannt sein, aber, dass diese Regeln auch im ökonomischen Alltag eine bestimmende Rolle spielen könnten, ist für Andersgläubige oder Ungläubige heute eher ungewohnt. Dies gilt, obwohl im Christentum und Judentum über längere Zeit zum Beispiel die Zinsnahme ebenso verboten war wie im Islam.

Das oberste Prinzip, dass es für uns Muslime zu vermitteln gilt, ist nun, dass die „Scharia“ nicht etwa ein sinnloses Zwangssystem ist, sondern, ganz im Gegenteil im menschlichen Interesse „das Abwehren von Schädlichem und das Fördern von Nützlichem“ beabsichtigt. Da der Schöpfer alles auf dieser Erde für den Menschen erschuf, lautet die islamische Grundregel zunächst: „grundsätzlich sind alle Dinge erlaubt, verboten sind nur Dinge und Handlungen, die als solche nach der Scharia eingestuft werden“. Der Islam ist damit eine Lebenspraxis, die Erleichterung schaffen will, dabei einen Mittelweg und nicht etwa Extreme etabliert. Deswegen wird im Koran auch explizit davor gewarnt, etwa Dinge zu verbieten, die erlaubt sind.

Oft wird in diesem Kontext auch vergessen, dass neben der Eigenschaft, dass zum Beispiel Lebensmittel „halal“ sein müssen, auch diese Nahrungsmittel gut – „tayyib“ sein sollen. Es geht also nicht darum wie man schlachtet, sondern auch darum, dass Lebensmittel und natürlich auch Tiere gut und sinnvoll behandelt werden müssen. Mehr noch, heute erwarten auch Muslime von ihren Produkten, dass sie erlaubt ,sind, aber auch, dass mit ihnen fair gehandelt wurde und sie gerecht bezahlt worden sind. Das koranische Gebot bei Handelsgeschäften in „Übereinstimmung zu Handeln“ übersetzt sich heute schlicht als „Fair Trade!“.

Auf Grundlage unserer These, dass die islamischen Regeln auch heute Sinn machen, müssen wir Muslime selbstbewusst an der Debatte über ein ökonomisch sinnvolles System der Versorgung teilnehmen. Hier liegen auch große Chancen für eine interessante Positionierung der Muslime in Europa. Weltweit verkörpern über 1,7 Milliarden Muslime, die der Halal-Markt potentiell vernetzt, eine enorme Kaufkraft und nicht zuletzt ein enormes wirtschaftliches Potential.

Muslimische Konsumenten, „the world Muslim counsumers“, sind – dies zeigen Umfragen – durch die Begriffe modern oder konservativ nicht vollständig zu fassen. Sie sind vielmehr motiviert und ehrgeizig, global denkend, gebildet und optimistisch, sie sind technischen Innovationen gegenüber aufgeschlossen. Sie sind aber auch verwurzelt in Familientraditionen, pflegen Gemeinschaft, achten ihre Kultur und – nicht zuletzt – sie praktizieren den Islam mit Freude. Dies gilt in Asien, Amerika, aber auch in Europa gleichermaßen. Es mag sein, dass dabei die Muslime in Europa, die die „Technikkritik“ der europäischen Philosophie studiert haben, vielleicht weniger technikgläubig sind wie im Rest der Welt.

Die Debatte über die ökonomische Position des Islam, der wachsende Markt der „Halal“-Produkte und Dienstleistungen sind dabei in Europa erst seit einigen Jahren ein an Bedeutung gewinnendes Thema. Das überrascht ein wenig, befassen sich doch die meisten großen Rechtsbücher auf hunderten Seiten mit Verträgen, Marktgesetzen und ökonomischen Grundregeln. Dutzende Male ist im Koran nicht nur das Gebet, sondern auch die Zakatnahme erwähnt, also eine verpflichtende, wenn auch moderate „Reichensteuer“. Im Zusammenhang zeigt sich hier ohne Zweifel eine faszinierende Seite des Islam.

Als Phänomen verdient das Thema „Islam und Ökonomie“ so gleich aus mehreren Gesichtspunkten eine noch größere Aufmerksamkeit. Die Millionen der Muslime in Europa, also die Massen konvertierter, heimischer und eingewanderter muslimischer Konsumenten stehen für eine wachsende ökonomische Macht. In der Europäischen Union leben 14 Millionen Muslime, in den wirtschaftlich stärksten Nationen Deutschland und Frankreich leben 4,3 bzw. 5,4 Millionen Muslime. Alle diese Menschen investieren, kaufen und sparen und – hier erscheint schon der nächste Gesichtspunkt – sie tun dies bewusst unter der Beachtung von bestimmten wirtschaftlichen Regeln.

Das islamische Wirtschaftsrecht, zu dem die Bestimmungen des Halal-Marktes ja gehören, ist ein Geflecht von Regeln, Normen und Verboten, das in seiner Gesamtheit auch als eine alternative Ökonomie Beachtung verdient. De facto geht es dabei um mehr als nur Vorschriften bei der Produktion von Lebensmitteln. Im Kern allen Wirtschaftens müssen dabei auch im Islam der „freie Markt“, der „faire“ Handel und die „freien“ Handelswege gesehen werden. Ohne diesen Kontext machen viele Vorschriften des Islam keinen wirklichen Sinn.

Die Kombination von Wirtschafts- und Wissensmacht, über die alle Muslime verfügen, manifestiert damit ungeheure Möglichkeiten, können sie doch mit einiger Intelligenz hier ganz neue Wege aufzeigen und wichtige Alternativen vorschlagen und so in Europa durchaus auch als Pioniere einer ganzheitlichen und alternativen Ökonomie angesehen werden. Man sollte das Grundprinzip „die Hand die gibt, ist besser als die Hand die nimmt“ dabei nicht vergessen. Nur als Unternehmer und Produzenten, nur als fair Handelnde und als korrekte Anbieter wird die Präsenz von Muslimen in Europa auch durch die Mehrheitsgesellschaften positiv aufgenommen. Damit wäre auch ein dringend nötiger Imagewandel der Muslime verbunden.

Der globale Markt für Halal-Lebensmittel wird heute auf etwa 650 Milliarden US-Dollar beziffert. „Die globale Nachfrage steigt und soll bis 2025 jedes Jahr um mindestens 20% steigen“ meint dazu Hamid Badawi, Vizedirektor of UAE AL Islami Foods über die Aussichten einer ganzen Industrie. Aber auch die Bedeutung des europäischen Marktes wächst stetig. Der europäische Lebensmittelmarkt für Halal-Produkte hat heute ein Volumen von etwa 66 Milliarden US-Dollar. Insbesondere der deutsche und französische Markt hat noch ein großes unentdecktes Potential. Der Kanadische Global Pathfinder Report über Halal Food Trends berichtet im Jahr 2009-2010 alleine in Deutschland und Frankreich von weit über vierzig Neueinführungen von Halal-Produkten.

Die Frage ist nun, wie man diese günstigen Fakten für die Muslime positiv umsetzt und wer am Ende von den ökonomischen Möglichkeiten dieses Marktes wirklich profitiert. Hier müssen wir einige aktuelle Probleme zur Kenntnis nehmen und den Mut haben, sie auch offen ansprechen.

Probleme

Natürlich stehen der an sich positiven Ausgangslage, ausgelöst durch die Kaufkraft der Muslime, viele Hindernisse entgegen. Die Muslime sind fern bei dem Thema der Halalwirtschaft etwa gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Sie streiten über die Anwendung von Rechtsregeln, sie sind nach wie vor aufgeteilt in nationale Lager und zudem zerrieben zwischen unterschiedlichen religiösen Interessen. Als Folge haben unsere muslimischen Vertretungen weder eine gemeinsame Strategie, noch so etwas wie ein abgestimmtes Marketingkonzept.

Das Bewusstsein, dass der Halal Markt auch viele andere Prinzipien und auch andere Geschäftsfelder umfasst ist bisher ebenfalls nicht sehr ausgeprägt. Natürlich gibt es bereits Bestrebungen auch den Markt für Finanzprodukte oder Versicherungen zu eröffnen. Oft genug ist das Prinzip dabei nur eine Einrichtung zu kopieren und mit dem Wort „islamisch“ religiös aufzuladen. Kaum jemand denkt aber an die Einrichtung eines echten islamischen Marktes oder an die Wiederbelebung unserer alten bewährten Finanzinstrumente. Es fehlt nicht nur an islamischer Infrastruktur, sondern auch an einer aktualisierten, überzeugenden Darstellung des ganzen ökonomischen Konzeptes, ausgehend vom Geld das wir benutzen, den wichtigsten Marktregeln an sich und den Produkten, die wir kaufen können und wollen.

Wir müssen aufpassen, dass wir als Muslime nicht nur einfach scheinbar erfolgreiche Verkaufsstrategien übernehmen, oft genug ohne die negativen Wirkungen dieser Mechanismen zu verstehen. Was hier gemeint ist, zeigt eine kurze kritische Reflektion auf das Wesen von Supermärkten. Man sollte sich erinnern, dass der Prophet selbst, Friede sei mit ihm, in Madinah eine Moschee und einen Markt etablierte, übrigens beides öffentliche Institutionen und beide immer unter der Maßgabe der gleichberechtigten Zugänglichkeit für Jedermann. Über viele Jahrhunderte war eine marktbeherrschende Stellung einiger weniger Anbieter undenkbar. Der islamische traditionelle Markt ist offen für tausende Anbieter. In Deutschland ist gerade der Lebensmittelmarkt durch einige wenige Discounter beherrscht und die Idee des freien Handels dadurch längst ad absurdum geführt. Der Besitzer der größten Lebensmittelkette Deutschlands wird regelmäßig als der reichste Mann des Landes geführt. Es mag sein, dass eines Tages auch in diesen Billigdiscounter eine „Halal-Abteilung“ eingeführt wird, nur, wäre dem Prinzip des gerechten Handels damit wirklich schon aus islamischer Sicht genüge getan?

Zu einem auf jeden Fall nötigen, erweiterten Bewusstsein über die Vielfalt und Komplexität islamischer Handelsaktivitäten tragen heute nicht nur islamische Medien, sondern auch große Messen wie der „Eurohalalmarket“ in Brüssel oder die „Parishalalexpo“ in Paris bei. Hier wird schnell deutlich, dass wir Muslime nicht nur in einem lokalen, sondern eben in einem größeren Sinnzusammenhang agieren. Diese Messen zeigen, dass die Muslime international vernetzt sind und damit übrigens auch einen Brückenkopf für europäische Hersteller darstellen könnten, die in den globalen islamischen Markt liefern wollen. Nur wenn die Bedeutung der Halal-Vorschriften in einer ganzheitlichen Ökonomie klarer wird, können wir vermeiden, dass der Eindruck entsteht, wir Muslime würden nur über eine bestimmte Expertise im Lebensmittelbereich verfügen.

Tatsächlich ist das Image des Halal-Marktes in Europa noch immer geprägt von den – für Europäer – zunächst eher exotisch anmutenden Schlachtvorschriften. Zudem ist ein scharfer Glaubenskampf zwischen Tierschützern auf der einen, und Muslimen und Juden auf der anderen Seite entbrannt. Konservative, teilweise auch islamophobe Kreise in Europa versuchen den Islam und das Judentum in Sachen Tierschutz als rückständig zu diffamieren. Oft ist die Tierliebe dabei nur ein vorgeschobenes Argument. Diese Kreise nutzen vielmehr geschickt die wachsende Angst der europäischen Bevölkerungen vor dem Islam.

Auf der WHF Konferenz in London im Jahr 2010 habe ich gemeinsam mit dem jüdischen Rechtsanwaltskollegen Pfeiffer die Zurückweisung der Diskriminierung von muslimischen Schlachtregeln gefordert. Mein Kollege fordert zu Recht das Ende der „Skandalisierung normaler religiöser Praxis“ durch eine säkulare Ideologie. Es gehört jetzt zu den Herausforderungen, durch eine kluge Gesprächsführung, das Verhältnis des Islam zum Tierschutz zu klären und die Sorge vieler Muslime über ein artgerechtes Halten und Töten von Tieren zu verdeutlichen.

Gleichzeitig müssen wir uns in der generellen Debatte über industrielle Lebensmittelproduktion positionieren. Die Fragen, die sich hier auch für uns ergeben, sind klar: kann zum Beispiel die Massentierhaltung wirklich im Einklang mit göttlichen Gesetzlichkeiten stehen?

Zu den größten Problemen des noch jungen Halal-Marktes gehört auch der regelrechte Machtkampf, der im Bereich der Zertifizierungen entbrannt ist. Auch in Europa häufen sich zudem Fälle zertifizierter Lebensmittel, die in Wirklichkeit aber nicht korrekt geschlachtet worden sind. Ein leitender Angestellter der britischen Lebensmittelkontrolle hat mir einmal gebeichtet, dass er nach der Begutachtung von Halal-Lebensmitteln langsam zum Vegetarier mutiert sei. „Oft ist das Fleisch“, so der Beamte mit einem leichten Schaudern, „in sehr schlechtem Zustand gewesen.“

Die Missbrauchsfälle von Zertifizierungen mögen Einzelfälle sein, dabei ernst nehmen muss man sie natürlich. Tatsächlich sind viele „islamische“ Zertifizierer, die oft ausschließlich im Internet aktiv sind, mit eher zweifelhafter Legitimität versehen. Vor einiger Zeit habe ich für einen Mandanten aus Spanien einen Wursthändler im Ruhrgebiet aufgesucht, der mit einem bunten „Halal-Zertifikat“ seine Produkte anbot. Als ich den Unternehmer mit islamischen Segenswünschen ansprach konnte er damit wenig anfangen, auch den Begriff „Halal“ konnte er nicht erklären. Sein erfundenes Halal-Logo rechtfertigte der Händler mit dem Hinweis, dass sich so seine Produkte in bestimmte Länder eben besser verkaufen ließen.

Während in einigen islamischen Ländern, die Legitimierung von Zertifizierern auf nationaler Ebene staatlich geregelt ist, agiert in Europa eine eher unübersichtliche Zahl privater Anbieter. Auch in Europa wird daher diskutiert, ob eine zentrale Zertifizierung die Lage verbessern würde. Hier ist aber einige Skepsis angebracht, denn eine solche zentrale Stelle ist aus vielen Gründen eher eine Utopie. Die komplizierte Aufteilung der Muslime in Europa in ethnische und religiöse Gruppen macht es eher unwahrscheinlich, dass eine solche Autorität in absehbarer Zeit entsteht.

Zwar überwiegen bei den seriösen Zertifizierern die Gemeinsamkeiten, aber in den Rechtsschulen gibt es natürlich auch Unterschiede, wie sich in dem Dauerstreit über die „Betäubung“ zeigt. Die Anlehnung an islamische Länder in Sachen Zertifizierung ist zudem mit einigen Schwierigkeiten verbunden, warum sollten Verbraucher in Europa sich nach einer Autorität im Ausland richten?

Ein weiteres, ernstes Problem der „Zertifzierungswelle“ sei hier kurz angesprochen. Es gibt an dem Verfahren durchaus ernstzunehmende inner-islamische Kritik. Desöfteren wird bemängelt, die zentralisierte Zertifizierung stärke im Ergebnis nur die großen multinationalen Konzerne und schädige zudem durch eine aufwendige Überregulierung – und dem daraus folgenden Misstrauen gegen nicht-zertifizierte Produkte – die kleinen, wenn auch durchaus islamisch korrekten Anbieter. Ganz von der Hand zu weisen ist dieses Argument nicht.

Tatsächlich dominieren heute insbesondere Lebensmittelkonzerne aus dem Westen den globalen Lebensmittelmarkt. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Firma Nestle. Schon seit 1980 bietet die Schweizer Firma Halalprodukte an. Von den 443 Fabriken der Gruppe haben immerhin 85 eine Halal-Zertifizierung. Die Strategen des Konzerns bearbeiten von Malaysia aus den internationalen Markt. Ihre Produkte für die islamische Welt sind über 5 Milliarden Schweizer Franken wert und machen 5% des Jahresumsatzes aus. Während Experten wie Dr Paul Temporal grundsätzlich die mangelnde Marktkenntnissen der westlichen Firmen in Sachen Halal-Produkte bemängelt , die Schweizer Manager kann er damit wohl kaum meinen. Natürlich wächst damit auch der Einfluss einger „Big player“ auf die Zertfizierungsinstitute. Es kann aber auf Dauer nicht im Interesse der Muslime sein, dass nur wenige Monopolisten den Markt der Lebensmittel beherrschen.

4. Herausforderungen

Zu den Versäumnissen der Muslime in Europa gehört zweifellos, dass sie ihr Potential bisher kaum einschätzen können. Es gibt bisher keine zentrale Stelle, die gesicherte Informationen über die islamische Wirtschaftskraft verbreitet. Genaues Zahlenmaterial, Statistiken oder Marktanalysen findet man bisher kaum. Es wäre an der Zeit, dass volkswirtschaftlich geschultes Personal diese Marktlücke entdeckt.

Längst sind auch die Möglichkeiten des Internets für den europäischen Hala-Markt nicht ausgereizt. In meiner rechtsanwaltlichen Tätigkeit habe in den letzten Monaten die Initiative „Salamworld“ beraten, eine Firma die ein soziales Medium ähnlich wie Facebook aufbauen will, gerade auch, weil die Möglichkeiten der sozialen Medien bisher unterentwickelt sind. Sollte das Projekt erfolgreich sein, werden die, hoffentlich positiven Folgen, bei bis zu 50 Millionen angestrebten Nutzern, für den Halal-Markt enorm sein. Es wird dann Zeit, dass es auch im Netz einen virtuellen Marktplatz gibt oder islamische Vertragsmodelle angeboten werden, bis hin zum Angebot alternativer Bezahlsysteme. Dies heißt aber auch, dass das Internet eine „nur“ europäisch ausgerichtet Strategie nahezu unmöglich machen wird. Für die Muslime eigentlich nur eine kleine Sensation, waren wir doch von jeher global ausgerichtet.

Gerade unter dem Eindruck der Globalisierung ist es natürlich auch für Muslime wichtig ihre rechtlichen Überzeugungen gegenüber dem immer mächtigeren Kapital abzugrenzen. Bisher sind die Muslime gegenüber Lebensmittelkonzernen, Supermärkte und Banken im Vergleich zu den anderen europäischen Mitbürger relativ unkritisch. Das Verhältnis von Geld, Monopolen und Banken bleibt in der islamischen Welt merkwürdig unreflektiert. Die europäischen Gesellschaften diskutieren längst offen diese Zusammenhänge. Eine kritische Bestandsaufnahme, auch im Umgang mit den „islamischen“ Finanzinstrumenten, tut also im 21. Jahrhundert durchaus Not.

In der zweiten Sure im Koran wird bekannterweise der Handel erlaubt und Riba verboten, das heißt aus muslimischer Sicht eigentlich auch, dass es weder monopolisierte Distribution durch wenige große Ketten geben darf, noch eine Umgehung des Zinsverbotes durch findige Banken akzeptabel ist. Gerade im Finanzwesen sind die Versuchungen eines „verfälschten Rechts“ besonders groß. Natürlich sehen gerade die großen islamischen Banken und Versicherungen einen großen Markt in Europa. Allein die islamische Bank in England operierte schon im Jahr 2007 mit 8 Branchen und 42.000 Klienten und Einlagen in Höhe von mehr als 135 Millionen Pfund.

Im Jahr 2013 soll nun auch in Deutschland erstmals eine rein islamische Bank aus der Türkei an den Start gehen. Alleine die Muslime in Deutschland sollen über ein Vermögen von über 25 Milliarden verfügen, ein Kapital, dass durch wachsende Inflationsraten bedroht ist. Allerdings gilt auch hier, im Bereich der Finanzinstitute, dass die vollmundige Bezeichnung einer Bank als „islamisch“ nicht schon quasi automatisch bedeuten kann, dass sie im Einklang mit dem islamischen Wirtschaftsrecht agiert.

In Deutschland scheitern bei Grundstücksgeschäften entsprechende Verträge islamischer Banken, die zum Beispiel das Zinsverbot mit zwei aneindergereihten Verkaufsverträgen umgehen, bisher ironischerweise an den Bestimmungen des deutschen Steuerrechts. Das ändert nichts daran, dass auch Imam Malik diese Art von offensichtlichen Doppelgeschäften klar verbietet.

Auch wenn die deutsche Bankenaufsicht „Bafin“ die islamischen Banken lobt, weil sie in der Finanzkrise glimpflicher davongekommen seien und sich von Risikogeschäften einigermaßen fernhalten, bleiben sie im Kern doch eben ganz normale Banken. Sie sind mit der nicht-islamischen Bankenwelt längst durch spekulative Währungen und komplizierte Geschäftsbeziehungen eng vernetzt. In Deutschland hat der Zentralrat der Muslime ein sogenanntes Halal-Produkt der WestLB zertifiziert, eine Bank, die erst vor Kurzem mit Millionen von Steuergeldern vor dem Untergang in der Krise gerettet werden musste.

Muslimische Rechtsgelehrte können sich auf Dauer den Lehren aus der Bankenkrise und den wachsenden Zweifeln über das Verhältnis der Banken zur Geldschöpfung nicht entziehen. In Europa gibt es inzwischen eine breit angelegte und fundamentale Debatte, an der Muslime, Christen und Juden teilnehmen. „Ist es legitim, dass Banken einfach Geld praktisch aus dem Nichts schaffen?“ lautet hier die kritische Fragestellung.

Eine wachsende Zahl von Europäern, unabhängig von ihrer Konfession, bezweifelt dies und sogar Abgeordnete des Deutschen Bundestages, wie der FDP-Politiker Schäffler, fordern die Freigabe privater Zahlungsmittel. „Nur so“ argumentiert der Politiker „können Staaten abgehalten werden, immer mehr falsches Geld zu drucken“.

Die Muslime könnten durchaus bald an die legale Möglichkeit denken, ihre Münzen, also Dinare und Dirhams, die 100% gold- und silbergedeckt sind, und über Jahrhunderte Teil des islamischen Wirtschaftens waren, wieder in Umlauf zu bringen. Angesichts der Krise der europäischen Versicherer wären goldgedeckte Sparkonten – die Waadias – eine sichere Option für Muslime und Nicht-Muslime gleichermaßen. Diese neuen Herausforderungen des Finanzmarktes sind bei den Muslimen noch nicht ganz angekommen.

Vielleicht ist so die größte Herausforderung des künftigen Halal-Marktes auch aus der aktuellen Krise zu lernen und wieder mehr Vertrauen in den Sinn unserer eigenen Finanzinstrumente zu gewinnen. In den offenbarten Geboten und Verboten zeigt sich die Weitsicht des Schöpfers. Mehr noch, im Islam schlummert die letzte, echte Alternative in Zeiten der aktuellen Auswüchse des Kapitalismus. Es geht darum, nach den Erfahrungen des Kommunismus und des Finanzkapitalismus, einen dritten Weg, einen Mittelweg zu finden. Eigentum zu etablieren und Gewinnerzielungsabsicht sind auch im Islam ehrenwerte Absichten, aber das Recht muss Monopole verhindern und fairen Wettbewerb garantieren.