Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Machwerk Kultur

„Im bereits fertig gestellten Aufenthaltsraum des Erdgeschosses warten nicht nur türkische Spezialitäten, sondern an der Stirnseite des Raumes auch ein Tisch, besetzt mit Männern, darunter Oberbürgermeister und Bürgermeister von Ingelheim, der türkische Generalkonsul, der Imam und der Vorsitzende der Gemeinde. Die Herren reden, alle Frauen hören zu. Zwischen den Redepausen gibt es erste Annäherungen unter den Frauen: „Haben Sie Kinder?“ Viel zu schnell heißt es „Allaha ismarladik“, auf Wiedersehen, von den Gehenden, was die noch Verweilenden mit „güle, güle“ beantworten.“ (Allgemeine Zeitung, Ingelheim)

Die obige Szene in Ingelheim, die ich aus einem Lokalteil entnehme, ist exemplarisch für die zarten Annäherungsversuche zwischen den Kulturen. Moment. Kulturen? In der Essaysammlung „Das Barbarische der Kultur“ findet sich eine interessante Kurzkommentierung des Kulturbegriffes von Martin Heidegger. Kultur ist für Heidegger ein rein abendländisches und neuzeitliches Geschehen. Erst in der Neuzeit – so Heidegger – wird das menschliche Tun als Kultur aufgefasst und vollzogen: als bewusste „Pflege“ im Sinne des Machens und der Politik. Kultur ist also nichts anderes als Politik.

Das „Barbarische“ an der neuzeitlichen Kultur ist, dass es – aus Sicht Heideggers – nur einen Aspekt des „Willens zur Macht“ darstellt. Die westliche Kultur will sich vor allem durchsetzen. Dies zeigt sich auch in dem Szenario eines angeblichen Kulturkampfes zwischen dem Islam und dem Westen, zwischen moderner Kultur und rückständiger Barbarei, bis hin zur These Huntingtons, es stünde angeblich ein solcher Kulturkampf bevor. Die Ideologen auf allen Seiten benutzen den Kulturbegriff zur gegenseitigen Abgrenzung („sie haben keine Kultur, also haben wir eine“), ohne aber in „dürftiger Zeit“ Kultur selbst stiften (bezahlen) zu können.

Der bedenkenswerte Umkehrschluss der Heideggerschen Sicht lautet: Wer Kultur hat, braucht sich nicht um Kultur zu kümmern. Allein dort, wo die authentischen Welt- und Selbstverständnisse ins Wanken geraten, wo sie bereits verschwunden sind, da muss es Kultur im Sinne des Machens, da muss es eine Kulturpolitik geben. Kulturpolitik verwaltet den Reichtum der Vergangenheit und überdeckt damit die Armut der Gegenwart. Kultur wird erst Schau, dann Show.

Die Problematik zeigt sich natürlich auch in der islamischen Welt, wo alte und tiefe Traditionen, eingebettet in das islamische Leben, zur Folklore umgewandelt werden. Die ganzheitliche Philosophie Rumis zum Beispiel wird zur weltabgewandten Esoterik und zur bunten Schau von Derwischen am Wochenende. Besuche der „staatlichen“ Ensembles sind kulturpolitische Maßnahmen.

Wer die verschiedenen islamischen Zentren in Deutschland besucht, wird die – aufgezwungene – Kulturlosigkeit islamischen Lebens in Hinterhöfen und ehemaligen Fabrikanlagen deutlich zu spüren bekommen. Die Muslime und ihre Gäste geben sich dennoch, wenn auch unter widrigen Umständen, gleichermaßen Mühe, die Rudimente der jeweils anderen Lebensform zu erkennen und zu einem Ganzen zusammenzufügen. Die Muslime versuchen anzudeuten, dass sie keine Babaren sind, dass der Islam keine Kultur ist, wohl aber verschiedene Kulturen hervorbringt und, Herr Bürgermeister, in einem 200 qm Industriebau nur begrenzt darstellbar und lebbar ist.

Für eine islamische Lebenskultur, besser Lebenskunst, bräuchte es die alten ganzheitlichen Anlagen, die nicht nur auf sakrale Gebäude oder Kulturzentren mit nationaler Folklore beschränkt sind. Auch der Islam hatte Kultur, als er nicht wusste, was „Kultur“ ist. Kultur ist für Heidegger die Selbstsicherung des abendländischen neuzeitlich-technischen Menschentums, das die Weltherrschaft zu seinem Ziel erklärt hat. „Kulturexport“ ist keine Wohltat des Westens an die Völker der „Dritten Welt“, sondern barbarisch-imperiales Handeln.