Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Abu Bakr Rieger

Islam, Finanztechnik, Recht & Philosophie

Politik und Bürgerkrieg

Führt der politische Islam in den Bürgerkrieg? Anhänger dieser Denkform werden die Frage empört zurückweisen und die Machenschaften und Provokationen der Gegner aufzählen. Auf jeden Fall stellt sich aber die Frage nach dem Sinn militärischer Auseinandersetzungen und es sind – angesichts der desaströsen Ergebnisse dieser Politik – auch einige Zweifel an Strategie und Zielen der „islamischen Bewegungen“ berechtigt.

In der Sura Al-Imran erinnert der Schöpfer an die eingeschränkte Souveränität des Menschen und auch daran, dass es der Schöpfer selbst ist, der über Sieg und Niederlage entscheidet. Auch der stärkste „Wille zur Macht“, der naturgemäß im Zentrum des Politischen steht, kann nichts an diesen grundsätzlichen Machtverhältnissen ändern.

„Sag: O Allah, Herr der Herrschaft, Du gibst die Herrschaft, wem Du willst, und Du entziehst die Herrschaft, wem Du willst. Du machst mächtig, wen Du willst, und Du erniedrigst, wen Du willst. In Deiner Hand ist (all) das Gute. Gewiss, Du hast zu allem die Macht.“ (3:26)

In der westlichen Welt sind Philosophie und Politik nicht wirklich zu trennen. Platon und Aristoteles sind nicht nur große Denker, sie gelten sogar als die Begründer der Politikwissenschaften.

Spätestens seit dem Wahnsinn der Ideologien und den Verbrechen der Nationalsozialisten sind das Politische und die Macht – sowie das Denken dahinter – verdächtig geworden. Das gilt insbesondere für Deutschland. Dem Jahrhundertphilosophen Martin Heidegger und dem Juristen Carl Schmitt wird immer wieder vorgeworfen, mit dem Faschismus paktiert zu haben.

In Ihrem Nachkriegsdenken finden sich aber auch die wesentlichen, denkerischen Einschränkungen der modernen Machtphantasien des Menschen. So kreist Heidegger immer wieder um die Frage nach der Technik, die aus seiner Sicht die menschliche Souveränität gefährdet, während Schmitt behauptet, dass moderne Organisationstechniken das „Politische“ schlussendlich neutralisieren. Demzufolge gleichen sich alle Parteien und Staaten auf Dauer an. Mit anderen Worten, das „islamische“ in der Partei zerrinnt mit der Zeit.

In dem Interviewband „Die kommenden Titanen“ beschreibt der – damals beinahe 100-jährige – Dichter Ernst Jünger, Zeitgenosse Heideggers und Schmitts, die eigentümliche Dimension des Politischen: „Die Politik hat ihre Grundlage in der Natur des Menschen selbst. Es gibt im Menschen eine Art von Instinkt für Politik. In diesem Sinne ist sie unvermeidbar, wie es Kampf und Konflikt sind. Kontraste und Gegensätze sind Teil der Essenz des Lebens. Die Politik hat aber nicht in jedem Augenblick der Existenz des Individuums die gleiche Bedeutung.“

Es ist keine Frage, dass sich der heutige „politische Islam“ zumeist in einer Philosophie und in einer Terminologie gründet, die nicht unmittelbar aus dem Islam selbst begründet werden kann, aber gleichzeitig die Frage nach der Technik, die die deutsche Philosophie zu Recht stellt, vollständig ignoriert. Es fehlt deswegen auch an der nötigen Gelassenheit.

Um zum Beispiel die neuesten Ereignisse in Ägypten zu verstehen, mitsamt der Gefahr des Totalitarismus oder des Bürgerkrieges, muss man aktuell Begriffe wie „Diktatur“ und die Frage nach dem souveränen oder kommissarischen Charakter dieser Herrschaftsart nachvollziehen. Selbstverständlich ist es unter keinen Umständen möglich, eine Diktatur zu islamisieren und die Idee eines „islamischen“ Diktators ist so absurd wie die Vorstellung eines „islamischen“ Terroristen.

Man kommt auch nicht umhin festzustellen, dass sich in Ägypten – wie anderswo im Zeitalter der globalen Finanztechnik – die Frage nach dem verbliebenen Machtspielraum der nationalen Demokratien stellt. Das ist die Not unserer Zeit. Immerhin, im Rahmen der gegebenen Freiheiten der Demokratisierung sind die Chancen Despoten abzusetzen gestiegen, während es allerdings noch kein echtes Mittel gibt, die Macht der lokalen Oligarchen wenigstens einzuschränken. Auch in Ägypten gehen die Politiker, während die ökonomisch Mächtigen den Systemwandel einigermaßen bequem überstehen.

Es ist wichtig zu verstehen, dass der politische Islam nicht zufällig nichts zum Verhältnis von Offenbarung und Technik beitragen kann; eben auch, weil er in der Technik immer nur die Möglichkeit der Steigerung eigener Macht erkennt.

Der politische Islam operiert so, seinem modernen Charakter entsprechend, in erster Linie auf der gesellschaftlichen Ebene. Er sieht im Parlament und – nach Schaffung entsprechender Mehrheitsverhältnisse – in der Regierung die Schlüsselfunktion für die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Es geht ihm dabei immer um die Steigerung der eigenen Macht. Die Idee Macht zu gewinnen, ist an sich populär. Für viele Muslime repräsentieren die islamische Parteien den eigenen Wunsch nach Veränderung. Was, nebenbei gesagt, den Vorteil hat, dass man sich nicht selbst verändern muss.

Auch wenn man Parteien und Ideologien ablehnt, oder ihnen zumindest mit einiger Skepsis gegenübertritt, ist das „Politische“, und damit das Öffentliche, natürlich nicht aus dem eigenen, islamischen Leben herauszutrennen.

Die islamische Lebenspraxis ist aus vielen praktischen Gründen nie vollständig privat. Für diese „Politik“ zählt nicht nur die Metaebene. So bedarf es vor Ort einer Autorität, die den Ramadan zum richtigen Zeitpunkt ausruft. Es bedarf dieser Person auch, um die Zakat zu erheben und zu verteilen. Die islamische Lebenspraxis, zwischen Moschee und Markt beheimatet, ist eine Aktivität, die immer auch eine bestimmte Weise „zu nehmen, zu teilen und zu weiden“ umfasst. Es ist für uns Muslime entscheidend, diesen unmittelbaren Zusammenhang ernst zu nehmen, denn das Zusammenspiel dieser Formen, Praktiken und Riten ergeben eines Tages den Nomos.