Der Islam ist eine Lebenspraxis und keine abgehobene oder dem Leben abgewandte Theologie, diese Maxime wird eine beeindruckende Realität, wenn man einmal dem Beispiel unserer indonesischen Brüder folgt.
Ein interessanter Gesprächspartner in Sachen alternativer Ökonomie ist mir der indonesische Gelehrte Pak Zaim aus Jakarta geworden. Bei einem Kaffee fesselt mich wieder einmal die spirituelle Kraft und das relevante, religiös fundierte Wissen dieses Mannes. Seit Jahren beklagt Pak Zaim öffentlich den dramatischen Wertezerfall in der größten muslimischen Gesellschaft unserer Zeit. Der Maßstab seiner Empörung verkörpert dabei nicht etwa die steigende oder sinkende Zahl der Kopftücher im Straßenbild der Millionenstadt, sondern vielmehr der anschwellende Grad der alltäglichen Ausbeutung und dramatischen Verarmung der Bevölkerung durch eine inflationäre Papiergeldwährung.
Die Intelligenz Asiens ist seit den Währungsspekulationen der 90er Jahre gegenüber den „Massenvernichtungswaffen der Finanzindustrie“ sensibilisiert. Die Krise hat den gerade für Muslime wichtigen Sinn für Prioritäten gestärkt. Man hat die Bücher des Islam neu aufgeschlagen und dabei entdeckt, dass wir über einen enormen Wissensschatz im ökonomischen Bereich verfügen. Ihre „islamische“ Antwort auf die „geplanten“ Finanzkrisen Asiens ist also nicht politischer Natur. Denn, trotz großer Not ganzer Bevölkerungsschichten, die destruktiven Angebote des politischen, teilweise fremdgesteuerten Extremismus in der Region wurden durch diese Denkrichtung konsequent abgelehnt.
Heute sind Muslime wie Pak Zaim die neuen Pioniere in der Etablierung echter ökonomischer Alternativen. Wie solche Alternativen, übrigens jenseits der einschränkenden Konzepte des „islamischen Banking“, aussehen könnten, kann man in dem funktionierenden Modell, dass der Indonesier im Einklang mit dem islamischen Wirtschaftsrecht auf die Beine gestellt hat, studieren.
Es basiert zunächst auf dem Fundament, dass die Zakat – ein Pfeiler des Islam – nicht einfach mit wertlosem Papiergeld bezahlt werden kann. Aber damit nicht genug. Pak Zaim und die Männer und Frauen seines Teams haben nicht nur eine simple Münze zur korrekten Zahlung der Zakat geprägt. Seine Bewegung bietet gleichzeitig auf offenen Märkten und in zahlreichen teilnehmenden Shops allen Indonesiern an, ihre Währung frei zu wählen und der jahrzehntelangen „Enteignung“ zum Nachteil der Ärmsten Einhalt zu gebieten. Die Silber- und Goldwährung, nach traditionellem Vorbild gewogen, besticht heute hunderttausende Indonesier durch ihre unbestechliche Kaufkraft. Mehr noch, seine Münzen zirkulieren über das ganze Land und schaffen so eine einmalige Alternative zur völligen Abhängigkeit der Bevölkerung gegenüber den Machenschaften der internationalen Zentralbanken.
Mit den islamischen Verträgen, den Institutionen der Waadias und der Waaqalas entsteht so langsam ein komplexes, zuverlässig funktionierendes Wirtschaftsmodell. Auf hunderten Vorträgen lehrt Pak Zaim über die Logik der vergessenen Finanzinstrumente des Islam. Der Clou, das Modell kommt dabei gut ohne klassische Banken aus. Mit Hilfe von Internet und Smartphones entstehen zudem dutzende neue Anwendungen, die nicht nur erstaunlich effizient sind, sondern auch im Einklang mit den Restriktionen des Rechts stehen.
Natürlich gibt es auch in Indonesien Spötter, die dennoch in dem Modell eine Rückkehr in mittelalterliche Gefilde erkennen wollen. Pak Zaim nimmt sie dann einfach mit auf Einkaufstour, ortet mit seinem Mobiltelefon den nächsten Shop, der seine Münzen akzeptiert, ruft den aktuellen Preis ab und bezahlt mit einer Applikation auf seinem Mobiltelefon, während gleichzeitig ein „Treuhänder“ den Übergang des realen Wertes am faktischen Aufbewahrungsort der Münzen überwacht.
Inzwischen erkennen tausende Indonesier und vor allem auch Indonesierinnen den Sinn des islamischen Wirtschaftens. Eine gerechte Gesellschaft, so glauben diese Muslime, kann die Ersetzung der freien Marktwirtschaft durch Monopole nicht akzeptieren. „Politisch“ so Pak Zaim lächelnd „ist dieses Wirtschaften aber nur unter der Bedingung der Freiheit möglich“.